Prokon in der Insolvenz:Verzocktes Vertrauen

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Pressekonferenz in der großen Montagehalle: Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin und Prokon-Geschäftsführer Carsten Rodbertus (rechts) (Foto: dpa)

Was einst als grünes Märchen begann, entwickelt sich zum Albtraum für die Anleger: Seit der Insolvenz gibt Windpark-Finanzier Prokon immer neue Rätsel auf. Womöglich wurde das obskure Öko-Imperium über ein illegales Schneeballsystem finanziert - und vermeintliche Vermögenswerte existieren gar nicht.

Von Markus Balser und Marc Widmann

Die Inszenierung ist durchaus geschickt. Sie haben die große Montagehalle freigeräumt, dieses funkelnd neue Gebäude, wo sie seit einem halben Jahr die P 3000 zusammenschrauben und testen, ein getriebeloses Windrad, 140 Meter hoch, Prokons ganzer Stolz. Wie kleine Raumkapseln stehen die gewaltigen Naben im Hintergrund, als der vorläufige Insolenzverwalter seinen ersten Auftritt vor Reportern und Mitarbeitern hat. Es soll wohl ein Zeichen sein: Hier ist noch Zukunft.

Dietmar Penzlin, ein Anwalt aus Hamburg, steht da im dunkeln Anzug und roter Krawatte, er versucht, Optimismus zu verbreiten. "Das Kerngeschäft Windenergie steht für mich nach Tag eins außer Frage", sagt er, und in der großen Halle klatschen 300 Prokon-Mitarbeiter, einer johlt, andere rufen Bravo. Das wollen sie hören.

Doch die Zeit der einfachen Wahrheiten ist bei Prokon vorbei. Am Abend zuvor hatte die Firma Insolvenz anmelden müssen - es ist eine der größten Pleiten der vergangenen Jahre in Deutschland. Betroffen sind 75.000 Anleger, die zusammen 1,4 Milliarden Euro in die Firma gesteckt haben. Denn Prokon ist auch für den, der in Itzehoe von sofort an die Verantwortung trägt, ein ziemliches Rätsel. Das beginnt schon bei den Geschäftszahlen. Für das Jahr 2012 liegt immer noch keine geprüfte Bilanz vor. "Es ist von großem Interesse, dass wir so schnell wie möglich Grund in die Zahlen bekommen", sagt Penzlin, und an dieser Stelle klatscht dann keiner mehr.

"Wir werden unser Geschäftsmodell grundsätzlich weiterverfolgen"

Als die Reporter ihn fragen, ob Prokon ein Schneeballsystem war, wie es Verbraucherschützer befürchten, ist der Insolvenzverwalter ganz vorsichtig. Sind die Anleger also einem illegalen System zum Opfer gefallen, in dem Zinsen und Tilgung alter Investoren mit dem Zufluss von neuen bezahlt werden? "Es wäre unredlich, wenn ich schon nach 24 Stunden so ein Vorurteil äußern würde." Daran hingen ja auch gewaltige strafrechtliche Konsequenzen, wenn es denn so wäre.

Neben dem Anwalt steht Carsten Rodbertus in der Montagehalle, er trägt Jeans und eine dunkelblaue Jacke mit Prokon-Logo, über der sein geflochtener Zopf baumelt. Er tänzelt vor und zurück, während er sagt, "wir werden unser Geschäftsmodell grundsätzlich weiterverfolgen, auch wenn es Veränderungen geben muss."

Er habe schon mit fünf Konkurrenten gesprochen, die kleinere Teile von Prokons Windparks kaufen wollten. Und ja, "es war aus heutiger Sicht ein Fehler", dass Prokon seine langfristigen Projekte mit kurzfristig kündbaren Genussscheinen von Zehntausenden Kleinanlegern finanziert hat. Doch bei allen Veränderungen, der Chef selbst will bleiben: "Ich aus meiner Sicht würde das natürlich weitermachen." Ob der schillernde Gründer bleiben darf? Darüber entscheidet am Ende der Insolvenzverwalter, der zunächst nur sagt: "Eine Zusammenarbeit in den ersten Tagen ist unabdingbar."

Der Absturz des Öko-Imperiums wird erstmals greifbar

Wie es weiter geht? Das ist die große Frage, die über allem schwebt. Auch für die vielen Zehntausend Anleger, denen jetzt Verluste drohen. Wie hoch die ausfallen, wagt derzeit kein Experte zu beurteilen. Auch Insolvenzverwalter Penzlin nicht. Doch er macht klar: Es soll erst einmal kein weiteres Geld fließen. Die Zahlung von Zinsen sei "im Insolvenzeröffnungsverfahren, also bis maximal April 2014, aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen". Und wann jene Anleger, die ihre Genussrechte bei Prokon bereits gekündigt haben, ihr Geld sehen, ist völlig offen. Drei Rechtsprofessoren wurden damit beauftragt, diese Frage per Gutachten zu prüfen. Das werde wohl zwei bis drei Monate dauern, sagt Penzlin.

Der Absturz des Öko-Imperiums wird erstmals greifbar an diesem Donnerstag. Dabei hatte es so märchenhaft begonnen. Der Aufstieg von Prokon war phantastisch - eine Wette gegen die Wahrscheinlichkeit. Als junger Buchhalter kaufte sich Gründer Rodbertus an der Nordsee ein Stück Land und stellte zwei Windräder auf. Dann kam ihm die Idee zu Prokon - die Abkürzung steht für PROjekte und KONzepte.

Carsten Rodbertus gründete die Firma 1995 und sammelte das erste Geld bei Anlegern für zwei weitere Räder ein, dann für vier. Heute sind es 50 Windparks in mehreren Ländern. Die Firma baute weitere Geschäftsbereiche auf: Den für Biosprit und einen für Biomasse. Sie ist auch als Stromversorger tätig. Rodbertus blieb ihr geschäftsführender Gesellschafter - bis zur Pleite.

Wie konnte es ausgerechnet im Energiewendeland Deutschland so weit kommen, fragen sich Anleger im ganzen Land. Zuletzt kam kaum noch ein Deutscher an Prokon vorbei. Unerwünschte Post im Briefkasten, Werbung vor der Tagesschau. Selbst in entlegensten Buslinien warb die Firma für Geldanlagen mit einer fabelhaften Verzinsung von bis zu acht Prozent, während Banken nur einen Bruchteil zahlen. Seit langem fragen sich Verbraucherschützer, woher die Wunderzinsen eigentlich kommen sollen.

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Am Donnerstag wird in Itzehoe auch klar: Prokon muss sich neuen bohrenden Fragen stellen. Rätsel gibt ausgerechnet der nach Mitarbeitern größte "Geschäftsbereich" Biomasse auf, zu dem etwa die Produktion von Holzpaletten gehört. Er wird mit 650 Prokon-Mitarbeitern geführt - das ist Hälfte des gesamten Unternehmens. Im Entwurf einer Konzernzwischenbilanz werden Sägewerke und Waldbesitz in Rumänien dieses Bereichs als Vermögen des Unternehmens dargestellt. Doch daran wachsen die Zweifel. Denn die Geschäfte des Bereichs bestehen zum Großteil aus der ostdeutschen Firma HIT Holzindustrie Torgau. Die bestreitet jedoch, Teil von Prokon zu sein.

Die "öfter mal diskutierte Übernahme und Eingliederung" der Firma durch Prokon sei bisher nicht erfolgt, teilt HIT mit. Die HIT OHG sei eine eigenständige Firma. Prokon hatte die Firma seit Mitte 2010 mit Krediten vor einer drohenden Insolvenz bewahrt. Auf mehrere Bitten der ostdeutschen Firma, die Darstellung auf der Prokon-Internetseite zu ändern, habe der Öko-Konzern nicht reagiert, heißt es bei HIT.

Die Schockwellen der Pleite haben die Bundesregierung erreicht

Noch längst sind nicht alle Fragen um Prokon geklärt. Klar ist nur: Es geht um eine Pleite von gewaltiger Dimension, deren Schockwellen auch die Bundesregierung erreichen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach der Insolvenz des Windparkbetreibers Konsequenzen für bestimmte Finanzprodukte angekündigt.

Nach einer Kabinettklausur am Donnerstag in Meseberg erklärte sie, Verbraucherminister Heiko Maas (SPD) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) würden entsprechende Vorschläge machen. Es müsse immer wieder geprüft werden, wie sicher solche Produkte seien - auch bei neuen Formen der Bürgerbeteiligung im Zuge der Energiewende: "Das gilt sicherlich auch für Prokon."

"Der Fall Prokon macht klar, dass Handlungsbedarf besteht", sagt dessen Hauptgeschäftsführer Markus Kerber der Süddeutschen Zeitung. Es sei "mehr Kontrolle und Regulierung" in diesem Segment nötig. "Investitionen dürfen nicht zum Glücksspiel werden."

Die Prokon-Mitarbeiter in Itzehoe halten derweil weiter zu ihrem Chef. In der Montagehalle steht ein Qualitätsprüfer, fast zwei Meter groß, der erst vor vier Monaten anfing, "weil ich die Sache geil fand". Er hätte auch anderswo anfangen können, jetzt entwickelt er den P 3000 "Wenn Sie sich hier umdrehen, sehen Sie ja die geplatzten Schneebälle", sagt er und lacht. Er hält das für Quatsch. Er sagt: "Wir bauen das alles erst auf."

© SZ vom 24.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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