Konjunktur:Der Aufschwung soll auch den Gewerkschaften gehören

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In Zeiten der Krise waren die Gewerkschaften opferbereit - jetzt wollen sie am kräftigen Aufschwung partizipieren: Die IG Metall plant, die für April 2011 angesetzte Lohnerhöhung vorzuziehen.

Sibylle Haas

Die IG Metall und die Gewerkschaft Verdi verlangen ein Ende des Lohnverzichts. In den nächsten Tarifabschlüssen müsse sich die bessere Wirtschaftslage niederschlagen, hieß es. Die mit zusammen 4,4 Millionen Mitgliedern größten DGB-Gewerkschaften forderten von der Bundesregierung, mehr für die Binnenkonjunktur zu tun.

Die Wirtschaft hat im zweiten Quartal kräftig zugelegt, jetzt wollen die Gewerkschaften ihren Anteil. (Foto: ddp)

Die IG Metall strebt angesichts des Wirtschaftsaufschwungs eine vorgezogene Lohnerhöhung in der Metall- und Elektroindustrie an. "Wir werden uns an den Metalltarifvertrag halten. Im Tarifvertrag gibt es eine Klausel, die es ermöglicht, die Erhöhung um zwei Monate vorzuziehen", sagte Detlef Wetzel, der Zweite Vorsitzende von Deutschlands größter DGB-Gewerkschaft, der Süddeutschen Zeitung. Ob diese Klausel genutzt wird, liege jedoch bei den Betriebsräten.

Nach dieser Öffnungsklausel kann die zum 1. April 2011 vereinbarte Lohnerhöhung um 2,7 Prozent bereits im Februar erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass es den Unternehmen wirtschaftlich besser geht als in der Krise. Umgekehrt könnten die Auszahlungen aber auch um zwei Monate nach hinten verschoben werden, wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Der gültige Metalltarifvertrag läuft bis März 2012. Auch müssten nun die übertariflichen Zulagen erhöht werden: "Die Entwicklung der Effektivlöhne hinkt den Tariferhöhungen hinterher", sagte Wetzel. "Diese Lücke könnte durch übertarifliche Zulagen geschlossen werden", so Wetzel weiter. Über diese Punkte werde im Herbst verhandelt. Die Betriebsräte und gewerkschaftlichen Vertrauensleute würde dies mit den Betriebsleitungen diskutieren. Dabei werde es etwa auch um die Erhöhung des Weihnachtsgeldes gehen.

Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske rief die Arbeitgeber dazu auf, "die Löhne hierzulande nicht länger als reine Kostenfaktoren" zu betrachten. "Sie müssen vielmehr als ein Schlüsselinstrument in den Blick genommen werden, um die Nachfrage anzukurbeln und damit nachhaltiges Wachstum zu erzeugen", sagte Bsirske der SZ. "Das werden wir in den nächsten Tarifrunden den Arbeitgebern deutlich machen", so der Gewerkschafter. Für Verdi stehen die nächsten großen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst an, es geht um die Beschäftigten der Länder. Im Dezember soll die Lohnforderung stehen. Doch wegen der angespannten Finanzlage der Länder dürfte es der Gewerkschaft schwerfallen, starke Lohnsteigerungen herauszuholen.

Anders ist die wirtschaftliche Lage in der Stahlindustrie, in der im September die Tarifverhandlungen beginnen. Der wirtschaftliche Aufschwung werde die Tarifverhandlungen in der Stahlbranche bestimmen, kündigte IG-Metall-Vize Wetzel an. "Der Abschluss muss höher ausfallen als der vorige", sagte der Gewerkschafter. Die Stahl-Beschäftigten erhielten zuletzt zwei Prozent mehr Gehalt und eine Einmalzahlung von 350 Euro. "Wer den fragilen Aufschwung stützen will, der muss nicht nur öffentliche und private Investitionen tätigen, sondern der muss auch die Kaufkraft der Menschen erhöhen. Hier gibt es bei Leiharbeitern und Niedriglöhnern einen enormen Nachholbedarf", erklärte Wetzel. Die Kritik der Arbeitgeber, die von Lohnforderungen zur "Unzeit" sprechen und durch steigende Löhne den Aufschwung in Gefahr sehen, hält er für einen "Pawlowschen Reflex".

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hatte sich kürzlich dafür ausgesprochen, dass die Löhne in Deutschland um mindestens drei Prozent erhöht werden. Auch das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung hält Lohnerhöhungen von durchschnittlich drei Prozent für machbar.

Verdi und IG Metall warnen vor einer zu starken Exportabhängigkeit. "Die weltweite Wirtschaftskrise hat ganz deutlich gezeigt, wie gefährlich es ist, wenn ein Land zu einseitig auf den Export setzt", sagte Verdi-Chef Bsirske. Deshalb brauche Deutschland eine "neue Balance zwischen Exportwirtschaft und Binnenkonjunktur". Um dies zu erreichen und damit den Aufschwung zu stabilisieren, müssten die Konjunkturprogramme fortgesetzt und ausgeweitet werden, sagte Bsirske.

IG-Metaller Wetzel wirft der Bundesregierung einen Zickzackkurs in der Wirtschaftspolitik vor und fordert mehr Kontinuität. "Es ist unsinnig, wichtige Konjunkturprogramme zu kürzen, obwohl sich die wirtschaftliche Lage erst seit einigen Wochen bessert", sagte er. "Wenn die Bundesregierung etwas Vernünftiges tun will, dann muss sie die Binnennachfrage stärken", so Wetzel. Dies setze flächendeckende Mindestlöhne und eine bessere Bezahlung der Zeitarbeitnehmer voraus. "Leiharbeiter müssen genauso gut bezahlt werden wie das Stammpersonal", bekräftigte Wetzel. Es dürfe nicht sein, dass der Aufschwung an den Niedrigverdienern vorbeigehe.

© SZ vom 19.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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