Automobilindustrie:Deutschland ist Patent-Weltmeister in Sachen E-Mobilität

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"Die Anmeldedynamik bei der Elektromobilität und den zugehörigen Schlüsseltechnologien ist beeindruckend", sagt DPMA-Präsidentin Cornelia Rudloff-Schäffer. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa-tmn)

Geht es nach Patenten, stehen deutsche Konzerne hervorragend da bei Elektroantrieben, Batterieforschung und Autonomem Fahren. Doch die Zahlen sind trügerisch.

Von Max Hägler

Der Herbst des Jahres 2015 war eine Zeitenwende in der Autoindustrie. In den USA wurde enthüllt, dass Volkswagen Dieselautos so manipuliert hatte, dass diese sauberer wirken als sie sind. Der Skandal zog immer weitere Kreise. Die Kunden wandten sich immer stärker ab von der Verbrennertechnik.

Und in der Folge auch die Entwickler, das zeigt eine Analyse der Patentanmeldungen aus den vergangenen Jahren, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Im Jahr 2019 veröffentlichten das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) und das Europäische Patentamt (EPA) 660 Patentanmeldungen mit Wirkung für Deutschland, die sich direkt auf Autos mit Elektroantrieb beziehen - 42 Prozent mehr als noch 2017. Bei der Batterietechnik hat die Zahl der veröffentlichten Anmeldungen um 41 Prozent zugelegt auf 2684. Die Erfindungen für Benzin- und Dieselmotoren gingen in dem Zeitraum um 13 Prozent zurück.

Patentanmeldungen werden in der Regel 18 Monate nach Einreichung publiziert; bis sie sich als veröffentlicht in der Statistik niederschlagen, vergehen also eineinhalb Jahre. Dann sieht man den zeitlichen Zusammenhang mit dem Dieselskandal, erklärt DPMA-Präsidentin Cornelia Rudloff-Schäffer: "Die Anmeldedynamik bei der Elektromobilität und den zugehörigen Schlüsseltechnologien ist beeindruckend." Den Statistiken zufolge sind deutsche Konzerne weit vorne: vier von zehn Patenten kommen bei Elektroantrieben und auch dem Autonomen Fahren von hiesigen Firmen, bei E-Auto-Batterien immerhin noch drei von zehn. Zum Vergleich: Bei Verbrennungsmotoren, einem Bereich, in dem die Deutschen wohl weltweit führend sind, kommen knapp die Hälfte aller Erfindungen aus Deutschland. Das alles stimme sie "optimistisch" mit Blick auf den heimischen Standort, sagt DPMA-Präsidentin Rudloff-Schäffer.

Dem mag man bei einem der erfindungsreichsten Unternehmen, Bosch, nicht widersprechen - und doch sieht man solche Statistiken mit gemischten Gefühlen: "Auch wenn es uns nicht um die Quantität der Anmeldungen, sondern um die Qualität eines Patents geht, kann ein gutes Ranking Motivation sein", sagt Peter Möldner, Leiter einer der beiden Bosch-Patentabteilungen. "Aber von einem auf das andere Jahr kann alles anders sein, also darf man sich nie zurücklehnen."

Exzellente Nachrichten also für die Deutschen. Doch womöglich wiegen sie das Land in falscher Sicherheit?

Jedenfalls können solche Zahlen getrübt sein: Wie viel meldet man etwa an? China hat etwa eine Million Patentanmeldungen pro Jahr, in Deutschland sind es nur 70 000. "Man könnte auch den größten Unsinn aufschreiben", sagt Möldner, der Ingenieur mit Rechtskenntnis: "Wenn das neu ist und den Anschein eines erfinderischen Schrittes macht, könnte das von Amts wegen patentierbar sein." Aber so etwas sei noch keine Innovation - und um Innovationen gehe es: die Anwendung und Umsetzung von neuen Ideen. Die Erfolge sind meist erst nach Jahren erkennbar. Als Möldner die Ideen seiner Kollegen zum Anti-Schleuder-System ESP oder einem neuen Computernetzwerk für Autos (CAN-Bus) auf dem Tisch bekam und fürs Amt aufbereitete, da habe er die Tragweite noch nicht erkannt. Mittlerweile sind das beinahe branchenweite Standards.

Meist werden kleinere Weiterentwicklungen angemeldet

Tatsächlich seien Patente meist nicht technische Meilensteine, sagt Jens Koch, Techniker und Patentanwalt bei der Münchner Kanzlei Grünecker. Heutzutage würden meist kleinere Weiterentwicklungen angemeldet. Bei Motoren etwa Dichtungen, die die Lebensdauer des Aggregats verlängern. "Weiterentwicklungen können aber bis in kleinste Details gehen", sagt Koch: Der Klick-Effekt eines Elektrosteckers im Automobilbereich etwa kann von einem Patent geschützt sein. Gegebenenfalls werden dafür Lizenzgebühren oder Abschlagszahlungen fällig. Wobei die Autobauer im Zweifel selten miteinander in Konflikt geraden, sagt seine Kollegin Christine Schrempp: Der Streit um Ideen und Rechte werde eher im nachgelagerten Bereich der Zulieferer ausgefochten,

Eine andere Frage, die das Bild von der Erfindungskraft trüben kann, ist der Anmeldeort. Bei den Einreichungen, die das DPMA zusammenfasst, liegen Unternehmen aus Deutschland jeweils auf Platz eins bei Batterien und Elektromotoren. Erst dahinter sind Firmen aus Japan, USA, Korea und China. Es wirkt, als seien deutsche Hersteller unangefochten bei der E-Mobilität. Dabei ist der technologische Marktführer nach Meinung von Branchenbeobachtern im Moment der kalifornische Hersteller Tesla, der gemeinsam mit dem japanischem Hersteller Panasonic auch mit vergleichsweise geringem Rohstoffeinsatz die leistungsstärksten Batterien fertige. Beide Firmen tauchen jedoch nicht auf in der DPMA-Statistik. Was auch daran liegen mag, dass es ausreicht, ein Patent nur in einem Land zu halten, wie Bosch-Experte Möldner erklärt: "Die Autoindustrie ist global aufgestellt, wenn eine Idee in einer Region geschützt ist, entfaltet das praktisch eine weltweite Wirkung."

Schließlich gilt es noch eine Besonderheit zu beachten, die vor allem beim Autonomen Fahren zum Tragen kommt: Anders als in den USA ist in Deutschland und Europa das Schützen von reinem Software-Code nicht möglich; es muss immer in Verbindung stehen mit einer konkreten Anwendung. Geht es nach der DPMA-Statistik, dann ist hier Deutschland abermals weit vorn: 43 Prozent aller Patente auf dem Gebiet etwa von Umfeldsensorik, Navigation oder Verkehrsführung kommen demnach von deutschen Firmen, etwa Bosch, BMW und Daimler. Wer hingegen nicht auftaucht: Die US-Firmen Tesla und Waymo (eine Google-Tochter), die nach Ansicht von Branchenbeobachtern jedoch viel Know-how haben. Aber vielleicht melden sie nur in den USA an, zumal in Kategorien, die in Europa nicht schützbar wären.

Auto-Forscher Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management hat aus all diesen Gründen eine eigenen "Innovationsreport" gestartet, der die Serien-Neuerungen von 90 weltweiten Automarkten untersucht. "Tesla ist meist vorn", sagt er. Und doch stimmt er eben zu, was die Erfinderzahlen des Amtes zeigen: Die Deutschen strengen sich an. "Wenn sie konsequent dabeibleiben und Schwungmasse erzeugen, dann können sie aufholen, in allen Feldern." Auch Erfindungen sind eben nur eine Frage der Perspektive.

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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