Soziale Netzwerke:Facebook: Ein Netzwerk wie ein Glücksspielautomat

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Schon wieder was Neues passiert: 150-mal am Tag schauen Smartphone-Besitzer im Durchschnitt auf ihr Telefon. (Foto: mauritius images)
  • Design-Ethiker Tristan Harris ärgert sich darüber, wie unethisch Firmen aus dem Silicon Valley sich verhalten.
  • Sie behandelten Nutzer, als ob diese an einem Glücksspielautomaten sitzen würden.
  • Anstatt den Alltag der Nutzer zu verbessern, ginge es darum, Aufmerksamkeit zu maximieren.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Tristan Harris unternimmt alles, um nicht auf gut Glück angeschrieben zu werden. Wer mit ihm in Kontakt treten will, bekommt auf seiner Webseite eine Notiz zu lesen: "Ich würde gerne von Ihnen hören, aber gehe zur Zeit in einer Flut von E-Mails unter. Damit ich priorisieren kann, wann und wie ich mich bei Ihnen melde, bitte nutzen Sie dieses Formular."

Für die Firma Google arbeitete Harris jahrelang als Design-Ethiker. Er ist also vertraut mit dem System Silicon Valley. Eine Handvoll Designer, sagt er, zwischen 20 und 30 Jahre alt und größtenteils in San Francisco lebend, bastelt an Apps und Webseiten, die alle nur ein Ziel haben: Menschen dazu zu bewegen, mehr Zeit mit diesen Apps und Webseiten zu verbringen. Denn das bedeutet: Mehr Daten werden gesammelt, mehr Werbung wird angezeigt, mehr Geld verdient.

"Ob sie wollen oder nicht, diese Designer lenken damit Gedanken, Verhalten, Gefühle und Entscheidungen von Milliarden Menschen. Jeden einzelnen Tag. Das ist irrsinnig viel Einfluss", sagt Harris.

Nutzlosigkeit technischen Designs
:Dafür gibt es eine App? Bitte nicht!

Apps sind "faule Rechtecke", sagt Golden Krishna, und das ist nicht die einzige Kritik, die der Designer an der Technologie der Gegenwart übt. Er rechnet mit den Mechanismen einer Branche ab, die sich vom Nutzer entfernt.

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Auf diesen Einfluss weist Harris hin, auch mit dem Formular. Bevor man ihm schreibt, sollen erst ein paar Fragen ausgefüllt werden. Wie dringend wird eine Antwort gebraucht - sofort, morgen, in einem Monat? Will man Harris als Redner buchen oder findet man seine Arbeit gut? Jede Frage erzwingt ein kurzes Nachdenken der schreibenden Person. In der Betreffzeile steht bereits ein erster Satz: "Bitte seien Sie so spezifisch wie möglich." Harris lenkt sein Publikum. Wenn die E-Mail in seinem Posteingang landet, ist alles bereits sortiert; zeitlich, inhaltlich und thematisch.

Jede Interaktion ist ein kleines Glücksspiel

Es ist eine Sortierung, die Harris auch von den Firmen aus dem Valley erwartet. Welche Information ist wirklich dringend? Wie kann man Zeit mit den Netzwerken verbringen, ohne das Gefühl zu haben, sie zu verschwenden? Doch Facebook, Google und Instagram wollen gar nicht, dass diese Fragen beantwortet werden. Stattdessen ist jede Interaktion ein kleines Glücksspiel. Wie bei den Automaten im Casino.

In einem viel beachteten Blogbeitrag beschreibt Harris dieses Prinzip als süchtigmachend: Wer die Suchtgefahr maximieren wolle, müsse die Aktion eines Nutzers (das Aktualisieren einer Webseite, das Öffnen der Facebook-App) mal belohnen, mal ins Leere laufen lassen. "Die Suchtgefahr ist am stärksten, wenn die Belohnungsrate am deutlichsten variiert." Wer nicht weiß, wann die nächste Belohnung fällig ist, schaut öfter nach.

Die Kulturanthropologin Natasha Schüll untersuchte jahrelang das Verhalten von Glücksspielern, die ihre Zeit vor Automaten verbringen. Eines ihrer Ergebnisse: Den Zockern war bewusst, dass sie nicht den Jackpot knacken würden. Ihnen ging es um das Eintauchen in eine Endlosschleife. Einen Knopf drücken, eine Reaktion bekommen, den Knopf erneut drücken, eine minimal andere Reaktion bekommen.

Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter nutzen dieses Prinzip aus. Die Informationen sind also mal interessant, mal nicht, immer ein bisschen anders. Jedes einzelne Like, jeder Kommentar ist eine eigene Benachrichtigung, Teil der Endlosschleife. Endet ein Video auf Youtube oder Netflix, beginnt das nächste automatisch. Die Fotos auf Instagram hören nicht auf. Es gibt keine Gründe, die Netzwerke zu verlassen, eine Hilfestellung erst recht nicht.

Harris betont, dass die Designer nicht aus bösem Willen handeln: "Sie denken natürlich nicht darüber nach, wie sie jemanden manipulieren können. Sie wollen die Welt miteinander vernetzen." Doch dabei folgen sie Anreizen, die wichtig für das Silicon Valley sind - und gaukeln Nutzern vor, dass auch sie davon profitieren.

Das Verheimlichen dessen, was fehlt

Diese Anreize nennt Harris Tricks, wie sie auch ein Magier einsetzt (Harris selbst war früher einer). "Dabei geht es um das Menü, das ich meinem Publikum präsentiere." Soziale Netzwerke bieten Optionen, verheimlichen gleichzeitig aber, dass sie andere ausklammern.

Genau an diesem Punkt will Harris ansetzen. Vorschläge hat er genug. Facebook könnte Nutzer einstellen lassen, wann sie sich Nachrichten durchlesen wollen. Schreibt jemand außerhalb dieser Zeit, bekommt er diese Information mitgeteilt - und kann in dringenden Fällen die Botschaft dennoch durchdrücken. So wissen beide Seiten, wie sie zu reagieren haben, sagt Harris.

Die Wahl, die ein Nutzer heutzutage habe, sei die zwischen alles oder nichts. Die Ermahnung an Menschen, weniger oft auf ihr Smartphone zu schauen, gehe an der Sache vorbei. Denn auf der einen Seite stehe eine Einzelperson, auf der einen Seite eine Armada aus hochqualifizierten und gut bezahlten Menschen, deren einziger Job darin bestehe, die Aufmerksamkeit dieser Person zu kapern. Ein unfairer Kampf, den Menschen im Durchschnitt pro Tag 150- mal verlieren. So oft schauen sie auf ihr Smartphone.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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