Online-Dating:Suche nach dem Matching-Partner fürs Leben

Lesezeit: 6 Min.

Egal ob schneller Sex oder ewige Liebe, Partnersuche über das Internet ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch es geht um mehr als individuelles Liebesglück: Die Algorithmen der Matching-Computer könnten auch die Scheidungsraten senken.

Christian Weber

Die Vorstellung, im Netz die große Liebe zu finden, ist für viele Singles zur Selbstverständlichkeit geworden. (Foto: iStockphoto)

Noch Zweifel, ob wir wirklich bereits im 21. Jahrhundert angekommen sind? Dann begeben Sie sich umgehend auf die Webseite www.secret.de. Dort empfängt eine etwas bemüht schmachtende Schöne mit venezianischer Maske und rät: "Lebe Deine Phantasie". Dann folgen "drei gute Gründe" für gerade diesen Anbieter: "Knisternde Erotik nach Deinen Regeln; lustvolle, diskrete Begegnungen; täglich neue Kontaktvorschläge." Darüber rattert im Sekundentakt ein Zähler, der angibt, wie viele Kontakte Secret seit dem Start am 1. Januar 2011 bereits gestiftet hat - bei Redaktionsschluss waren es angeblich 12.828.919.

Nun ist es nicht neu, dass Unternehmen gewerbsmäßig erotische Interessen und Seitensprünge vermitteln. Etwas überrascht ist man aber doch, wenn man erfährt, dass hinter Secret die Deutsche Telekom steht, ein Unternehmen, an dem der deutsche Staat immer noch beträchtliche Anteile besitzt.

Secret.de ist der Beweis, dass das Online-Dating in all seinen Spielarten in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Es ist ein epochaler Wandel. Nach einer Studie des Oxford Internet Institute aus dem Jahre 2011 haben sich bereits 30 Prozent aller Paare in 16 europäischen Ländern sowie Japan und Brasilien, die über einen Internet-Anschluss verfügen, über Online-Dating kennengelernt. Damit drängt sich die Frage auf, was die Verlagerung der Partnersuche in den Cyberspace mit den Menschen anrichtet. Gibt es neue, bessere Chancen, den richtigen Lebenspartner kennenzulernen. Oder werden dabei menschliche Beziehungen versachlicht?

Liebessehnsucht manifestiert sich oftmals unromantisch

Letzteres ließe sich vermuten, wenn man weiß, dass etwa Secret die Rotlicht-Ecke der Online-Partnerbörse Friendscout24 ist, die wiederum zur Scout24-Gruppe gehört - einer hundertprozentigen Telekom-Tochter. Diese betreibt noch einige weitere gut besuchte Börsen wie Immobilienscout24 oder Autoscout24. Wer gerade das Date unter Dach und Fach hat, kann also vom gleichen Portal aus nach einer Wohnung oder einem Job suchen, nach günstigen Smartphones oder gebrauchten Autos.

Die Entwicklung der Partnersuche in Zeiten des Netzes liefert den Kulturpessimisten also zumindest auf den ersten Blick eine Steilvorlage. Wo Partnerschaften auf ähnlichen Märkten wie Gebrauchsgegenstände angebahnt werden, muss sich deren Logik wohl auch auf die intimsten Beziehungen ausgedehnt haben. Tatsächlich manifestiert sich die Liebessehnsucht auf vielen Portalen recht unromantisch.

Wer sich etwa bei Friendscout24 anmeldet, kann in einer Suchmaske die Kennwerte für den neuen Wunschpartner eingeben, so als ginge es um einen Einkauf: Körpergewicht und -größe auf Kilogramm und Zentimeter genau, Augen- und Haarfarbe, Figur, bevorzugte Küche, Bildungsstand und Einkommen.

Man weiß aus den Ich-Reportagen der Frauen- und Lifestyle-Zeitschriften, wie solche Suchen dann ablaufen können. Die Redakteurinnen, meist über 30 und auf der Suche nach der neuen Dauerbeziehung, berichten von Erfolgen, aber auch von schrecklichen Erlebnissen: Wie sie, umgarnt von charmanten Mails, plötzlich im Café vor einem wabbeligen Monster sitzen, das nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Foto im Online-Profil hat. Oder wie sich etwas Nettes anzubahnen scheint, und dann plötzlich: Klick und weg.

Andererseits: Verhält es sich im realen Leben so viel anders? Ist die Gesichtskontrolle am Eingang der Disco, die Trennung per SMS, die Abfuhr in der Bar, womöglich noch unter den Augen der Peergroup, weniger schmerzhaft? "Die Kritiker der Online-Börsen verkennen, dass Partnersuchende im realen Leben genauso selektiv sind", sagt der Soziologe Hans-Peter Blossfeld vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, der mit einem Team seiner früheren Universität Bamberg und Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit Jahren das "Internet als Partnermarkt" erforscht.

"Uns hat am meisten überrascht, dass es auch in den Börsen ziemlich traditionell zugeht: Frauen suchen immer noch Partner mit einem ähnlichen oder höheren Status, Männer achten bei Frauen weit weniger auf diese Dimension." Ansonsten finden sich auch über das Internet meist Menschen mit ähnlicher Bildung und sozialem Hintergrund."

Online und offline gleiches Paarungsverhalten

Auch der Sozialpsychologe Jochen Gebauer von der Berliner Humboldt-Universität beobachtet offline wie online das gleiche Paarungsverhalten: "Bei Befragungen sagen die Leute immer, dass ihnen auch innere Werte wichtig seien. Wenn man dann aber etwa Speed-Dating-Experimente macht, zeigt sich doch: Es wird sehr auf das Äußere geachtet." Seiner Ansicht nach bestätigen sich auch im Netz die klassischen evolutionspsychologischen Thesen: "Männer wollen vor allem ihre Gene verbreiten und suchen deshalb junge, schöne Frauen. Frauen suchen Männer mit hohem Status, die Ressourcen haben, mit denen sie die Familie unterhalten können."

Hans-Peter Blossfelds Analyse von Daten aus einer großen Online-Börse widerspricht auch der Annahme, dass Online-Profile häufig gefälscht seien. "Die Frauen machen sich etwas leichter, die Männer etwas größer, aber sie bauen keine Potemkinschen Dörfer auf - schließlich sieht man sich ja womöglich im realen Leben", erläutert Blossfeld. Und noch einen Mythos konnte sein Team widerlegen; dass in den Partnerbörsen vor allem junge Männer nach dem schnellen Sex fahnden.

Natürlich gibt es die, aber im Durchschnitt suchen mittlerweile ähnlich viele Frauen wie Männer in den üblichen Singlebörsen hauptsächlich nach einer ernsthaften Beziehung. Und das sind nicht immer die ganz Jungen: Im Datensatz der Bamberger Forschergruppe betrug das Durchschnittsalter etwa 40 Jahre, selbst über 60-Jährige sind keine Seltenheit mehr.

Das ist aber auch gar kein Wunder, schließlich ist es bereits nach Schule und Ausbildung gar nicht mehr so einfach, auf paarungswillige Menschen zu treffen. "Online-Portale sind eine gute Chance für all die jungen Berufstätigen, die zum Beginn ihrer Karriere nur noch wenig Zeit für die Partnersuche im realen Leben haben", bilanziert Blossfeld. Als problematisch sieht er allenfalls, "dass auf Online-Märkten bewusster auf gewünschte Kennwerte geachtet wird". Die Zufallsliebe wird weniger wahrscheinlich, wenn Suchende bereits vor der ersten Begegnung nach Figur oder gar Haarfarbe selektieren.

Oder gibt es Alternativen zu diesem oberflächlichen Ansatz, wie jene Online-Agenturen versprechen, die einen wissenschaftlichen "Weg zur harmonischen Partnerschaft" gefunden haben wollen? So erstellt Parship, einer der Marktführer in Deutschland, aus 74 indirekten Fragen eine angeblich "objektive Analyse der Persönlichkeit". Dieses Persönlichkeitsprofil wird nach einem Algorithmus per Computer mit allen anderen Profilen in der Datenbank abgeglichen; dann wird ihm eine Matching-Punktzahl zugeordnet: Je mehr Punkte, desto besser die Chancen für eine harmonische Partnerschaft. Parship meldet eine Erfolgsquote von 38 Prozent. Es ist eine spannende Frage, ob eine solche Mathematik der Liebe tatsächlich funktioniert.

Der Berliner Sozialpsychologe Gebauer hält es zumindest für plausibel: "Gleich und Gleich gesellt sich gern, das gilt in den meisten Fällen noch immer", sagt Gebauer. Zwar sei die Forschungslage noch unbefriedigend, "aber auch bei der Persönlichkeit scheint zu gelten, dass eine Beziehung besser läuft, wenn die Menschen sich ähnlich sind" - mit einer Ausnahme: "Dominante Menschen kommen besser mit submissiven Partnern klar."

Ob Matching-Verfahren funktionieren, ist ungewiss

Gegen diesen Konsens der Partnerbörsen-Branche wendet sich allerdings ein Forscherteam um den Sozialpsychologen Eli Finkel von der Northwestern University in einem aktuellen Review-Artikel im Fachmagazin Psychological Science in the Public Interest (Bd. 13, S.3, 2012). Zwar seien die Partnerbörsen hilfreich bei der Vermittlung von Kontakten, aber "bislang fehlt ein überzeugender wissenschaftlicher Beweis, dass irgendeiner der Online-Dating-Matching-Algorithmen tatsächlich funktioniert", sagt Finkel, zumindest dann nicht, wenn es nicht nur um Anfangsattraktivität gehen soll, sondern um Beziehungsstabilität.

So habe 2008 eine Metaanalyse von 313 Studien ergeben, dass ähnliche Persönlichkeit und Einstellungen keinen Effekt auf die Qualität einer Beziehung hätten. Und 2010 habe eine Studie an 23.000 verheirateten Paaren gezeigt, dass Ähnlichkeit in den wesentlichen Persönlichkeitsdimensionen nur 0,5 Prozentpunkte zur Zufriedenheit beitrug. Entscheidend seien vielmehr Beziehungsdimensionen, die sich erst im Paarleben zeigten: Kommunikationsstrukturen, Problemlösungsfähigkeiten, sexuelle Kompatibilität.

Doch das ist ein Vorwurf, den etwa die Matchmaking-Expertin von Parship, Sandra Spreemann, nicht auf sich sitzen lassen will. Man erstelle bereits weit mehr als ein Persönlichkeitsprofil. "Tatsächlich versuchen wir die Beziehungspersönlichkeit zu erfassen, wir versuchen zum Beispiel zu verstehen, wie jemand mit Konflikten umgeht." Auch berücksichtige man die aus der Forschung bekannte Einsicht, dass der Neurotizismus eines Partners der größte Negativfaktor für eine Beziehung ist. Weil aber die zugehörigen Fragen "sehr seltsam" klingen würden, "messen wir deshalb so etwas wie den Gegenpart, das heißt die positive Grundeinstellung".

Dating-Portale veröffentlichen keine Daten

Und überhaupt, der Erfolg gäbe dem Matching-Verfahren recht. So hätten eigene Studien unter Mitwirkung des Paarpsychologen Guy Bodenmann von der Universität Zürich gezeigt, "dass Online-Paare mit ihrer Beziehung im Durchschnitt zufriedener sind als Offline-Paare". Sie gründeten schneller einen gemeinsamen Haushalt, heirateten eher und bekämen früher Kinder. Bodenmann bestätigt, dass seine Analyse der von Parship erhobenen Daten zeigten, "dass die Online-Partnerschaften in nahezu allen Variablen statistisch signifikant besser abschnitten". Dies heiße aber noch nicht, "dass sie auch längerfristig bessere Voraussetzungen oder eine niedrigere Scheidungsrate haben werden".

Klarheit wird es erst geben, wenn die Daten in den Fachzeitschriften diskutiert werden könnten. Dagegen sträuben sich aber Unternehmen wie Parship, denn das würde voraussetzen, "dass wir unsere Matching-Algorithmen veröffentlichen", sagt Spreemann. "Das Parship-Prinzip ist jedoch unser Geschäftsgeheimnis, das wir unseren Wettbewerbern natürlich nur ungern offenlegen."

Die Kunden der Singlebörsen wird es nicht stören. Schließlich trinken sie auch Coca-Cola, ohne das geheim gehaltene Rezept zu kennen.

© SZ vom 06.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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