Öko-Boom:Zu große Lust auf Bio

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Bio wird immer beliebter, der Markt wächst Jahr für Jahr. (Foto: dpa)

Bioprodukte gelten als Statussymbol von Besserverdienenden und als Ausdruck eines anspruchsvollen Lebensgefühls. Die Nachfrage steigt stetig. Um sechs Prozent wuchs der Biomarkt im vergangenen Jahr; erstmals wurden mehr als sieben Milliarden Euro umgesetzt. Das überfordert die Produzenten.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Für den bevorstehenden Wandel eines Stadtteils zum schicken Wohnviertel für Besserverdienende gibt es für Elke Röder ein untrügliches Frühwarnsystem. "Die Gentrifizierung beginnt dann, wenn die Spielhallen weichen und die Bioläden kommen", sagt die Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN). Bioprodukte einkaufen ist zum Statussymbol von Besserverdienenden geworden, mindestens aber zum Ausdruck eines anspruchsvolleren Lebensgefühls. Und weil Deutschland kein armes Land ist, steigt der Absatz sprunghaft.

Um sechs Prozent wuchs der Biomarkt im vergangenen Jahr; erstmals wurden mehr als sieben Milliarden Euro umgesetzt. Binnen zehn Jahren hat sich das Volumen verdreifacht. "Die Nachfrage nach umwelt- und tierfreundlich erzeugten Biolebensmitteln steigt weiter und das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft", prophezeit Alexander Gerber, Geschäftsführer der Öko-Dachorganisation BÖLW. Wäre da nicht das Nachschubproblem.

In Deutschland nahm die ökologisch bewirtschaftete Fläche 2012 ungleich weniger stark zu wie der Markt insgesamt. Magere 2,7 Prozent Zuwachs lassen die Kluft zwischen hoher Nachfrage und niedrigem Angebot immer tiefer klaffen. "Die Nachfrage nach Biofleisch ist enorm und kann zum Teil nicht mehr befriedigt werden", nennt BÖLW-Experte Gerber ein Beispiel. Die Folge: Es wird immer mehr Bioware importiert. Was wiederum bedeutet: Lange Transportwege verhageln häufig die Ökobilanz. Der Verband sieht die Politik gefordert, dies zu ändern.

Forderung nach mehr Geld aus Brüssel

Die vor wenigen Tagen in Brüssel beschlossenen EU-Agrarreformen hin zu mehr naturverträglichem Landbau sei dafür eine Steilvorlage, argumentiert BÖLW-Chef Felix Prinz zu Löwenstein. Nur müssten sie auch national konsequent umgesetzt werden. Soll heißen: Weniger landwirtschaftliche Förderung nach dem Gießkannenprinzip, sondern mehr Geld für den Ökolandbau. Die Umschichtung der EU-Subventionen wäre nach Ansicht des Verbands auch ein Signal gegen die Verunsicherung vieler Landwirte, von denen sich viele nicht trauten, auf Ökoproduktion umzustellen.

Anders sei auch das erklärte Ziel der Bundesregierung, den Anteil von Bioproduktion an der Landwirtschaft auf 20 Prozent anzuheben, nicht zu erreichen, argumentiert der BÖLW. Gemessen an der Fläche liegt man derzeit bei 6,3, gemessen an der Zahl der Betriebe bei acht Prozent. Ganz abgesehen davon ginge es nicht nur um Quantität, sondern um Qualität von Nahrungsmitteln. "Wir brauchen nicht nur einen Agrar-, sondern auch eine Ernährungswende", sagt Verbandschef Löwenstein. Sprich: gesündere Lebensmittel.

Kennzeichnungen für Lebensmittel-Qualität
:Wofür Gütesiegel wirklich stehen

Prädikatssiegel, QS-Prüfzeichen, Öko-Label, EU-Bio-Logo - alles Kennzeichnungen, die für eine besonders gute Qualität von Lebensmitteln bürgen sollen. So vielfältig wie die Begriffe ist auch, was dahintersteckt. Ob ein Logo tatsächlich für Qualität steht oder nur ein Marketing-Gag ist, erkennen Kunden oft nur schwer.

Eine Übersicht der wichtigsten Gütesiegel.

Darin ist sich die Branche einig, die von diesem Mittwoch an für vier Tage zur weltgrößten Ökomesse Bio-Fach in Nürnberg zusammenkommt. Das Spannungsfeld zwischen zu niedriger Produktion trotz steigender Nachfrage dürfte dort viele der Diskussionen bestimmen.

Dabei trifft sich eine Branche, die eigentlich mit sich ganz zufrieden ist. In vielen Ländern wächst ihr Absatz überdurchschnittlich; Deutschland ist nach den USA das Bioland Nummer zwei auf der Welt noch vor Frankreich. Andererseits betrug der Bioanteil am Lebensmittel-Einzelhandel 2012 hierzulande ganze 3,9 Prozent, was gemessen an den 3,7 Prozent im Jahr zuvor nur ein kleiner Fortschritt ist. Nur die Hälfte vom Umsatzplus ist einem Mengenwachstum beim Absatz geschuldet. Die andere Hälfte resultiert aus Preissteigerungen infolge der Knappheit beim Angebot. Und wie soll das weitergehen?

Qualität oder Quantität

In der Branche wird dies durchaus kontrovers diskutiert. Vertreter der reinen Lehre pochen darauf, sich ganz auf Qualität zu konzentrieren. Andere zielen hingegen mindestens genauso sehr auf Masse. "Das ist eine Gratwanderung", sagt Markus Arbenz, Geschäftsführer der internationalen Dachorganisation IFOAM. Einerseits die notwendige und ökonomisch erfolgversprechende Ausweitung, andererseits die Nachhaltigkeit in der Herstellung und bei den Produkten selbst, die man niemals vernachlässigen dürfe.

Viele Hersteller reagieren darauf, in dem sie sich ebenso eigenwillige wie profitable Nischen suchen. Die Bio-Fach ist voll mit Produkten, die sich an die gehobene Gastronomie und anspruchsvolle Küche richten: Bioketchup aus Pflaumen und Mangos, Salz mit Kaffee- und Zimtgeschmack, Rohkost-Kekse aus gekeimtem Getreide - das sind nicht unbedingt Produkte für den Massengeschmack. Eher für jene, die sich etwas abheben wollen, die in ihrer Küche experimentierfreudig sind - und dabei eher auf Genuss achten, als dass sie auf ihren Geldbeutel schauen müssen.

© SZ vom 13.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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