Notenbanken im Kreuzfeuer:Mars und Venus

Lesezeit: 3 min

Kanzlerin Angela Merkel übt ungewohnt deutlich Kritik an den Notenbanken. Das hätte sie bleiben lassen sollen.

Nikolaus Piper

Amerikaner sind vom Mars, Europäer von der Venus. Mit diesem Satz umschrieb der Publizist Robert Kagan die Beobachtung, dass die USA schneller bereit sind, in den Krieg zu ziehen als Deutsche, Franzosen oder Italiener.

Es hilft nicht, wenn Merkel unterstellt, die EZB habe sich politischem Druck gebeugt und sei damit eine schwache Institution. (Foto: Foto: ddp)

Für die Sicherheitspolitik mag das zutreffen, in der Geldpolitik jedoch sind die Europäer die Marsianer. Die Europäische Zentralbank hat einen einzigen Auftrag: für stabiles Geld zu sorgen; die amerikanische Federal Reserve soll daneben auch noch Vollbeschäftigung und moderate Zinsen fördern. Kein Wunder, dass die Fed auf die Finanzkrise im Herbst 2007 viel aggressiver reagierte als die EZB. Auch heute noch liegen die Zinsen in der Euro-Zone höher als in den USA, obwohl hier die Rezession schlimmer ist als dort.

Vor diesem Hintergrund war es ein außergewöhnlicher Vorgang, als die Bundeskanzlerin am Dienstag direkt die Federal Reserve und die Bank von England, indirekt aber auch die EZB angriff. Die entsprechenden Passagen standen am Ende einer langen Rede zur Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft und gingen im Inland ein wenig unter. Umso aufmerksamer wurde die Kritik in Washington und London verfolgt.

"Große Skepsis"

Sie sehe "mit großer Skepsis, welche Vollmachten zum Beispiel die Fed hat und wie sich im europäischen Bereich auch die Bank of England ihre kleinen Linien erarbeitet hat", sagte Merkel. Auch die EZB habe "sich dem internationalen Druck schon etwas gebeugt". Wörtlich fügte sie hinzu: "Wir müssen gemeinsam wieder zu einer unabhängigen Notenbankpolitik und zu einer Politik der Vernunft zurückkehren." Der Letzte, der so deutlich die Notenbanken kritisiert hat, war Oskar Lafontaine in seiner Zeit als Bundesfinanzminister.

Merkels Anmerkungen haben einen richtigen Kern. Im Zuge der Finanzkrise ist die amerikanische und britische Notenbankpolitik - und in geringerem Maße die europäische - tatsächlich politisiert worden wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Zentralbanken kaufen Wertpapiere für Abermilliarden Dollar, Euro und Pfund und stellen sie in ihre Bilanzen.

Alleine die Fed verlängerte ihre Bilanz von 870 Milliarden Dollar im August 2007 auf zuletzt über zwei Billionen Dollar. Im gleichen Umfang wurde Geld gedruckt. Bis jetzt löst dies keine Inflation aus, denn der Geldschöpfung der Notenbank steht Geldvernichtung im privaten Sektor gegenüber. Zieht die Wirtschaft wieder an, muss die Fed theoretisch nur ihre Bilanz wieder verkürzen, um Preisstabilität zu wahren.

Aber Fed-Gouverneure sind keine Maschinen, sondern Menschen, die mit Politikern zu tun haben und Zeitung lesen. Sie müssen unter Unsicherheit entscheiden und zwischen dem Risiko steigender Preise und eines Rückfalls in die Rezession abwägen. Niemand weiß, wie nüchtern diese Abwägung derzeit ausfallen wird. Die Lage ist also gefährlich.

Nun ist es eine Sache, dieses Problem zu beschreiben, eine andere, die Fed dafür zu kritisieren, vor allem wenn man ein Land regiert. Wer eine "Rückkehr zur Politik der Vernunft" fordert, unterstellt, dass die bisherige Politik unvernünftig war. Und dies zu behaupten, wäre mutig. Niemand kann beweisen, dass die Welt in eine Depression gestürzt wäre, hätten die Notenbanken nach 2007 nicht so aggressiv reagiert. Aber es ist wahrscheinlich, dass es so gewesen wäre. Die Politik war riskant, aber vernünftig.

Unterschiedlicher Hintergrund

Auch ein wenig Geschichtsbewusstsein tut not. EZB und Fed haben einen völlig unterschiedlichen Hintergrund. Die Fed wurde 1913 gegründet als Konsequenz der Finanzkrise von 1907; ihre erste Aufgabe war die eines Sicherheitsankers für die Banken, eines lenders of last resort, wie es im englischen Sprachgebrauch heißt.

Die EZB dagegen erbte die Stabilitätskultur der Deutschen Bundesbank, die sich aus dem Trauma der Hyperinflation von 1923 in Deutschland erklärt. Dabei ist das kollektive Gedächtnis der Deutschen in Sachen Geldpolitik lückenhaft. Besonders eines Ereignisses sollte man sich heute erinnern: Am 1. August 1931 erhöhte die Deutsche Reichsbank den Diskontsatz von 10,0 auf 15,0 Prozent.

Nach den Regeln einer "vernünftigen" Geldpolitik war das richtig, denn der Schritt sollte den Abfluss von Währungsgold aus Deutschland verhindern. Tatsächlich jedoch gab die Zinserhöhung der deutschen Wirtschaft den Todesstoß und bereitete den Weg für Hitler. Die Fed beging wenig später ähnliche Fehler, und den heutigen Fed-Chef Bernanke treibt das Bemühen, aus dieser Geschichte zu lernen. Gerade in Deutschland sollte man dies sehr ernst nehmen.

Unabhängig davon gibt es gute Gründe dafür, dass Politiker sich mit Kritik an den Notenbanken generell besser zurückhalten. Der Zusammenhalt der Euro-Zone ist in der Krise nicht einfacher geworden; das belegen die Risikoaufschläge, die heute auf griechische und italienische Anleihen verlangt werden.

Da hilft es nicht, wenn die Regierungschefin Deutschlands unterstellt, die EZB habe sich politischem Druck gebeugt und sei damit eine schwache Institution. Und was die Kritik an US-Institutionen betrifft, setzen sich deutsche Politiker in diesen Tagen leicht dem Vorwurf der Heuchelei aus: Sie sind schnell dabei, den "angloamerikanischen Kasinokapitalismus" (Bundespräsident Köhler) zu verdammen, liefern aber bei der Rettung ihrer eigenen Banken Stückwerk ab. Es sieht einfach blöd aus, wenn man andere kritisiert, solange man seine Hausaufgaben noch nicht erledigt hat.

© SZ vom 04.06.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: