Niedrigzins:Das billige Geld hilft nicht mehr

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Frankfurter Bankenviertel: Niedrige Zinsen belasten die Bilanz. (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Die Warnungen der Börsengurus sind ernst zu nehmen. Die EU-Regierungen müssen nun gemeinsam handeln, um einen Absturz verhindern.

Kommentar von Nikolaus Piper

Was Wirtschaftsprognosen betrifft, kann man ein paar klassische Fehler machen. Einer besteht darin, in guten Zeiten einfach die Gegenwart in die Zukunft fortzuschreiben und zu glauben, es könne keine Krisen mehr geben. Dieser Trugschluss hat wesentlich zur Finanzkrise von 2008 beigetragen. Ein fast ebenso verbreiteter Fehler ist es zu glauben, die nächste Krise müsse so aussehen wie die vergangene. Dieser Trugschluss ist in diesen Tagen weit verbreitet. Die meisten Menschen spüren, dass eine Wirtschaftskrise in der Luft liegt, aber sie suchen nach Exzessen an der Wall Street oder nach toxischen Wertpapieren in Bankbilanzen.

Diese Suche hilft nicht beim Aufspüren neuer Krisenursachen. Ja, es gibt immer noch Missstände in New York und an anderen Finanzplätzen - die Deutsche Bank kämpft mit den Folgen -, aber die nächste Krise wird damit wenig zu tun haben, dafür umso mehr mit der Art und Weise, wie Politiker, Notenbanken und Unternehmen versuchen, die Folgen der Finanzkrise zu bewältigen. Ein schrilles Alarmsignal gab es gerade: Anleger an den Börsen verkauften massiv Aktien und verschoben ihr Geld in Staatsanleihen, deren Kurse weiter stiegen. Für sich genommen ist das noch nichts Außergewöhnliches. Alarmierend ist, dass die Zinsen für Staatsanleihen - sie entwickeln sich gegenläufig zu den Kursen - schon wieder ein neues Rekordtief erreicht haben.

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Es lohnt sich, gerade jetzt den Gurus an den Finanzmärkten zuzuhören

Wer dem deutschen Staat 100 Euro für zehn Jahre leiht, bekommt dafür zwei Cent Rendite. In Japan muss der Anleger sogar noch 15 Cent draufzahlen, und dies, obwohl der japanische Staat der am höchsten verschuldete unter allen großen Industrieländern ist. Aus ökonomischer Sicht sind solche Zinsen schlicht absurd; sie lassen sich nur dadurch erklären, dass die Europäische Zentralbank und die Bank von Japan massiv Geld in die Wirtschaft pumpen und so die Zinsen immer weiter drücken. Dazu kommt, dass die Investoren Angst haben und ihr Geld in vermeintlich sicheren Papieren parken wollen.

Es lohnt sich, gerade jetzt den Gurus an den Finanzmärkten zuzuhören. Bill Gross aus Kalifornien zum Beispiel, einer der erfolgreichsten Anleihehändler der Geschichte, sieht an den Finanzmärkten eine "Supernova, die eines Tages explodieren wird". George Soros, der einst die Bank von England besiegte, ließ mitteilen, er habe aus Krisenfurcht massiv in Gold und Goldminen investiert. Sicher, bei solchen Äußerungen von Großanlegern schwingt immer auch eine gute Portion Selbstvermarktung mit. Aber Gross und Soros können durchaus den Ton an den Finanzmärkten setzen, ihre Aussagen werden meist sehr ernst genommen.

Furcht ist in diesen Tagen gut begründet. Zum Beispiel durch die Abstimmung in Großbritannien am 23. Juni über den Austritt aus der EU. Ein Brexit hätte kaum kalkulierbare Folgen für die Weltwirtschaft. Als wahrscheinlich gilt eine massive Flucht aus dem britischen Pfund in den Dollar mit Verwerfungen bei den Wechselkursen. Furcht begründet sich auch in der Aussicht, dass die amerikanische Wirtschaft schwächer wächst als bisher gehofft und - Albtraum für die Wirtschaft -, dass Donald Trump Präsident werden könnte. Schließlich ist alles andere als sicher, dass China die Schuldenlast seiner Staatsunternehmen ohne Schaden für die Weltwirtschaft abbauen kann.

Selbst Negativzinsen wirken nicht mehr

Die große Frage ist: Wird die Politik in den Industrieländern einer neuen Krise so entschlossen entgegentreten können wie der letzten? Die Banken haben richtigerweise ihre Schulden abgebaut, viele Unternehmen schwimmen in Bargeld, aber sie investieren viel zu wenig. Die Schulden des Privatsektors liegen heute bei Notenbanken und Regierungen - das ist die "Supernova", von der Bill Gross spricht. EZB und Federal Reserve in den USA haben die Geldversorgung der Volkswirtschaften bis ins Extrem getrieben. Jetzt mehren sich die Anzeichen dafür, dass selbst Negativzinsen nicht mehr wirken, um die Konjunktur anzutreiben. Deutschland geht es zwar im Vergleich sehr gut, aber die Politik in Europa ist gelähmt durch Flüchtlings- und Euro-Krise. Der Rechtspopulismus vergiftet das Klima und mindert die ökonomische Rationalität auf beiden Seiten des Atlantiks.

In Europa hat Mario Draghi von der EZB die Lage bisher mit viel Geld und klugen Worten beruhigt. Das reicht heute nicht mehr. Die Politik des billigen Geldes stößt an ihre Grenzen. Die Regierungen der EU müssen sich darauf einstellen, dass es zunehmend auf sie ankommt, wenn es darum geht, einen Absturz zu verhindern: durch entschlossene Wachstumspolitik, durch Kampf gegen die notorische Investitionsschwäche und, ganz grundsätzlich, durch die Bereitschaft, gemeinsam zu handeln.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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