Naturschutz:Der Schatz in der Heide

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Mitten in einem englischen Nationalpark wird eine Mine für Mineraldünger gegraben. Es könnte ein Milliardengeschäft werden.

Von Björn Finke

Die Mineralienmine im Nationalpark ist von Wald umgeben, damit sie weniger auffällt. Die Bauarbeiten begannen im April vergangenen Jahres. (Foto: oH)

Die Heideblüte ist vorbei, statt violett ist die Landschaft der North York Moors braun. Bäume gibt es wenige in dieser Einöde, dafür viele sanfte Hügel, auf denen ein paar Schafe grasen. Und es gibt eine Großbaustelle inmitten dieses Nationalparks im Norden Englands. Abgeschirmt hinter einem Wäldchen ragen Kräne empor, einer hebt gerade einen Kübel Erde aus einem tiefen Loch und leert ihn in einen Muldenkipper. Unten im Loch buddeln Bagger. Die Arbeiter tragen zum Helm grellgelbe oder -orange Anzüge; insgesamt sind dort 450 Menschen tätig. Sie errichten die erste neue Mine in Großbritannien seit einer Generation.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele Bergwerke geschlossen in Europa. Doch ein kleines börsennotiertes Unternehmen gräbt hier, nahe den Nordsee-Hafenstädten Whitby und Scarborough, seit April 2017 eine gigantische Mine für Mineraldünger. Bisher sieht die Baustelle bloß so aus, als würden tiefe, breite Keller ausgehoben. Aber schon in drei Jahren sollen besondere Bohrmaschinen zwei Schächte gut 1,5 Kilometer ins Erdinnere getrieben haben: einen Schacht für die Förderung und einen für den Zugang zu den Stollen und Maschinen. Die Woodsmith-Mine wäre dann das tiefste Bergwerk des Vereinigten Königreichs. Unten ist das Gestein fast 60 Grad heiß.

Sirius Minerals, das Unternehmen hinter dem Vorhaben, will Ende 2021 mit der Förderung von sogenanntem Polyhalit beginnen. Dieses Mineral enthält Kalium, Kalzium, Magnesium und Schwefel und eignet sich damit sehr gut als Dünger.

Die Firma, deren einziger Geschäftszweck der Bau und Betrieb dieses Bergwerks ist, residiert in einem Bürohaus am Rande Scarboroughs. Vorstandschef Chris Fraser empfängt leger mit Drei-Tage-Bart, Karohemd und Jeans. "Das Projekt ist schwierig, eine Herausforderung, aber es gibt weltweit keine vergleichbaren Reserven", sagt er. Die Vorkommen reichten für mehr als 100 Jahre. Der frühere Banker hatte die Idee für die Mine - und er konnte vor zwei Jahren Investoren überzeugen, 1,2 Milliarden Dollar als Anschubfinanzierung locker zu machen. Unter den Geldgebern ist Gina Rinehart, Bergbau-Unternehmerin und reichste Australierin.

Doch das Geld ist bald aufgebraucht, und nennenswerte Umsätze erzielt die Mine erst, wenn sie fertig und die Produktion hochgefahren ist. Das aber soll erst 2024 der Fall sein. Um diese Zeit zu überbrücken, muss der 44-jährige Vorstandschef frische Milliarden auftreiben. Und er muss diese zweite Finanzierungsrunde bis März abschließen. Geplant war, dass Sirius drei Milliarden Dollar an Darlehen aufnimmt. Für die Hälfte soll die britische Regierung bürgen - das macht London manchmal für Großprojekte, gegen eine Gebühr.

Allerdings musste Fraser im September einräumen, dass die Kosten für die Mine 400 bis 600 Millionen Dollar höher ausfallen werden als geschätzt. Damit die Banken die Darlehen wie vorgesehen frei geben, muss der Manager die Lücke stopfen; er muss noch einmal Geld von Investoren eintreiben. Fraser sagt, er sei zuversichtlich, dass die Finanzierung bis Jahresende steht: "Das ist einfach eine weitere Herausforderung, die wir meistern müssen."

Der Grund für die höheren Kosten ist der Transport-Tunnel. Wegen Besonderheiten der Geologie muss der breiter und mit einer dickeren Ummantelung als ursprünglich geplant gebaut werden. Im Nationalpark kann das Unternehmen keine Gleise für Güterzüge verlegen. Also wird das Mineralerz 250 Meter unter der Heidelandschaft abtransportiert - auf Förderbändern durch einen 37 Kilometer langen Tunnel. Das ist etwas mehr als die Entfernung zwischen Düsseldorf und Köln. Die Röhre endet bei einem Verladeterminal an der Mündung des Flusses Tees.

Dies ist eine Industrieregion, und das Wasser ist tief genug für große Schiffe. Zunächst will Sirius Minerals hier die Hafenanlage des Stahlwerks Redcar nutzen, das 2015 dicht machte. Später möchte das Unternehmen eigene Anleger errichten, um die Kapazität zu erhöhen. Wo der Transport-Tunnel am Fluss ankommt, befindet sich bereits eine Baustelle: hohe Zäune, Kräne, Bagger, Arbeiter. Sie bereiten alles für die Tunnel-Bohrmaschine vor.

Daneben wird eine Fabrik entstehen, die das Erz zerkleinert und zu Granulat, kleinen Kugeln, verwandelt. Das Düngergranulat wird dann von Schiffen in alle Welt transportiert. Sirius Minerals hat bereits Abnahmeverträge für 8,2 Millionen Tonnen Dünger pro Jahr abgeschlossen. Wenn das Bergwerk im Jahr 2029 seine maximale Kapazität erreicht hat, wird es 20 Millionen Tonnen jährlich liefern.

Nach der Förderung in der Mine werden die Mineralien zu Düngergranulat verarbeitet. (Foto: oH)

Naturfreunde und Wanderer im Nationalpark sollen davon möglichst wenig merken. Die Firma verlegt deswegen nicht nur den Transport zum Hafen unter Tage, sondern auch die Minenaufbauten: Das Bergwerk hat keine Fördertürme; die Aufzuganlagen sind in dem großen Keller untergebracht, den die Bagger gerade ausheben. Die Gebäude darüber sollen aussehen wie ein Bauernhof.

Auf der Baustelle ist manchmal Englisch mit deutschem Akzent zu hören - an dem Riesenprojekt sind die Baukonzerne Bauer und Strabag beteiligt; die Tunnelbohrer stammen von Herrenknecht.

Der Einsatz der Deutschen und Österreicher soll dabei helfen, einen neuen Markt zu schaffen. Bisher gibt es nirgendwo große Polyhalit-Minen. Daher spielt diese Mineralienmischung als Dünger fast keine Rolle. Stattdessen bringen Bauern Dünger mit Kalium aus. Sirius-Chef Fraser argumentiert, dass Polyhalit mindestens gleich gut oder besser sei, schließlich enthalte diese Mineralienmischung neben dem Kalium noch drei weitere wertvolle Stoffe. Um Abnehmern die Vorteile zu beweisen, ließen die Briten ihren Dünger testen - bei mehr als 330 Feldversuchen mit 36 Nutzpflanzen in 25 Ländern. Die Ergebnisse geben Fraser bislang recht.

Eine Tonne Polyhalit zu fördern und am Hafen zu verarbeiten, wird nach Schätzungen der Firma 30 Dollar kosten. Die bereits unterzeichneten Abnahmeverträge sollen dem Konzern 140 bis 150 Dollar pro Tonne einbringen. Daraus ergibt sich eine fette Gewinnmarge, mit der Fraser um Investoren wirbt. Der Manager ist gebürtiger Brite, hat aber lange als Investmentbanker in Australien gearbeitet. Dort war er viel mit Bergbaukonzernen beschäftigt. Schließlich wollte er sein eigenes Minenunternehmen aufbauen. Ein Geologe wies ihn darauf hin, dass es am Rande der North York Moors eine Kaliummine gibt - und vielleicht noch weitere Vorkommen. Frasers Team studierte Untersuchungen, die zwischen den Dreißiger- und Sechzigerjahren in der Region vorgenommen wurden. Die lieferten Hinweise auf ein großes Polyhalit-Lager unter dem Nationalpark und der Nordsee. Die Studien waren in der Branche bekannt. Andere Minenkonzerne interessierten sich jedoch nicht für Polyhalit, denn dafür existiert noch kein großer Markt. Und im Nationalpark abzubauen ist heikel.

Fraser ließ sich nicht abschrecken und gab Probebohrungen in Auftrag. Als diese positiv ausfielen, begann er, mit den Landbesitzern über Förderlizenzen zu verhandeln - heimlich, damit die Betreiber der bestehenden Mine in der Nachbarschaft nichts merkten. 2014 reichte er dann einen Bauantrag ein, der ein Jahr später genehmigt wurde. Die Landeigner erhalten 2,5 Prozent der Umsätze, die Sirius Minerals mit dem Erz unter ihrem Grund erzielt. "Einigen Farmern möchte ich den ersten Scheck persönlich bringen", sagt Fraser. "Das wird eine hübsche Überraschung." Und es ist sicher angenehmer als das, was der Manager gerade machen muss: Investoren wegen höherer Kosten um mehr Geld bitten.

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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