Nahaufnahme:Zähe Kämpferin

Lesezeit: 2 min

"Es hat lange gedauert, bis ich erkannt habe: Nicht ich bin das Problem im System. Das Problem ist das System." Lisa Jaspers. (Foto: oh)

Lisa Jaspers hat eine Petition für ein Gesetz gestartet, das Unternehmen dazu verpflichten soll, ihre Lieferketten zu kontrollieren.

Von Max Müller

Lisa Jaspers' Leben aufzumalen, wäre relativ einfach. Es ist eine lang gezogene dicke Linie, die leicht ansteigt. Die Konstante ist ihr Engagement, für Nachhaltigkeit, für ein besseres Miteinander. Doch diese Linie hat einen Ausreißer. Nachdem Jaspers Entwicklungsökonomie studiert hat und bevor sie ein Fair-Trade-Geschäft gründete, gab es da noch diesen kurzen Abstecher. Einen Abstecher, der schon damals nicht so recht in ihr Leben passte. Denn mit 24 Jahren machte Jaspers ein Praktikum bei einer Unternehmensberatung.

"Das war beruflich meine schlimmste Zeit, obwohl ich vergleichsweise viel Geld verdient habe", erinnert sich die heute 37-Jährige. "Das ungeschriebene Gesetz war: Die Praktikanten gehen als Letztes." Jaspers erzählt von 15-Stunden-Tagen, von vergossenen Tränen - und von vielen Egos. Vier Monate dauerte das Praktikum, danach wollte Jaspers nur noch weg.

Tourismusbranche in der Corona-Krise
:Hostel-Gründerin kämpft um ihr Geschäft

Der gesamten Branche geht es schlecht, viele Unternehmen fürchten um ihre Existenz. Aber Britta Sachs kennt Neuanfänge. Sie will ihr Kölner Hostel ein zweites Mal aus der Krise führen.

Von Timm Seckel

"Ich würde mir wünschen, dass ich an Gott glaube", sagt sie heute. Jaspers ist zwar konfessionslos, einen Glauben hat sie dennoch. Sie engagiert sich professionell für alles, wofür Menschen zuweilen verächtlich als Gutmenschen bezeichnet werden. Jaspers hat eine Petition für ein Gesetz gestartet, das Unternehmen dazu verpflichten soll, ihre Lieferketten zu kontrollieren. 175 000 Menschen haben unterschrieben. 2013 eröffnete sie "Folkdays", ein Geschäft für Mode, Schmuck und Einrichtung, das laut Jaspers enge Beziehungen zu den Produzenten in aller Welt pflegt.

Doch ihr Kampf für Nachhaltigkeit ist zäh. Der Marktanteil von Fair-Trade-Mode liegt unter einem Prozent. Auf den Entwurf des Lieferkettengesetzes, das eigentlich noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden soll, haben jüngst deutsche Wirtschaftsverbände reagiert. Die Änderungswünsche lesen sich wie eine Aneinanderreihung von Ausnahmen und Sonderregeln, findet Jaspers. Sie nennt es "Aushöhlungen".

Die Politik alleine ist für Jaspers nicht das Instrument, um die Wirtschaft und damit die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben wenig Einfluss, sagt sie. Das sagt Jaspers, obwohl sie selbst für NGOs gearbeitet hat, zum Beispiel bei Oxfam, einer Organisation, die sich gegen Armut und soziale Ungleichheit einsetzt. Doch die Hebel sind kurz: "Ich habe sehr oft resigniert", sagt sie. "Es hat lange gedauert, bis ich erkannt habe: Nicht ich bin das Problem im System. Das Problem ist das System."

Gemeinsam mit Naomi Ryland, Gründerin einer Karriereplattform für Menschen auf der Sinnsuche, hat sie darüber ein Buch geschrieben, was in Unternehmen alles falschläuft. Verkrustete Hierarchien aufbrechen, Arbeitszeiten neu denken, das Ego hintanstellen: Die Liste der zu revolutionierenden Schwächen dieser Wirtschaftswelt ist lang. "Ein paar Frauen haben sich nach der Lektüre gemeldet", erzählt Jaspers. "Sie haben ihren Job hingeschmissen."

Ein bisschen Angst hat Jaspers davor, dass ihre Ansichten falsch interpretiert werden. "Es ist ausdrücklich kein Meckerbuch, was ja besonders häufig Frauen unterstellt wird", sagt sie. "Aber es ist eben auch kein Businessbuch, eher ein Beziehungsbuch." Denn letztlich sei der Mensch die entscheidende Komponente. Und allzu oft gehe es im Beruf nur darum, sein Ego durchzusetzen. Sehr häufig ein Männerproblem, findet Jaspers. Und ein Branchenproblem. "Ich habe immer wieder gehört: In der Spitzenküche gibt es die heftigste Ego-Alpha-Kultur", sagt Jaspers und fügt dann nach einer kleinen Pause noch eine weitere Berufsgruppe hinzu: Journalisten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: