Nahaufnahme:Unaufgeregt

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Der Tata-Konzern aus Indien verdient sein Geld mit Autos, Hotels und Software. Doch zuletzt stockte das Geschäft; nun soll es Marathonläufer Chandra richten.

Von Arne Perras

Langes Laufen ist er schon seit seiner Schulzeit gewohnt. Im Süden Indiens, wo er aufwuchs, war niemand da, der ihn und seine Brüder morgens hätte zur Schule fahren können. Drei Kilometer liefen sie hin, drei Kilometer zurück, kein ungewöhnlicher Alltag für indische Kinder auf dem Land. Früher hatte er keine Wahl, inzwi-schen aber läuft der Mann ganz freiwillig, und das noch auf viel längeren Strecken: Natarajan Chandrasekaran, 53, liebt den Marathon. In Boston war er dabei. Berlin, Chicago, New York. Und natürlich Mumbai. Laufen beruhige seinen Geist, sagt der IT-Spezialist. Und es helfe ihm, Leuten besser zuzuhören.

Ausdauer, Aufmerksamkeit und eine ruhige Hand, all das wird er brauchen können auf seinem neuen Posten. Indiens größter Mischkonzern Tata Sons hat Chandrasekaran zum neuen Vorsitzenden bestimmt. Monatelang war es drunter und drüber gegangen nach dem unerwarteten Rauswurf von Vorgänger Cyrus Mistry, der auch nicht bereit war, seine Entlassung still und leise zu akzeptieren. Firmenpatriarch Ratan Tata übernahm das Steuer für eine Übergangsphase, doch auch er konnte nicht verhindern, dass die Querelen um angebliches Missmanagement und Inkompetenz öffentlich ausgetragen wurden und nur schwer einzudämmen waren.

Nun aber ist ein neuer Chef für die Tata-Zentrale gefunden. Chandra, wie ihn alle nennen, soll den Traditionskonzern wieder aus den negativen Schlagzeilen heraus-führen. Der Kreis der Kandidaten für den Spitzenposten war offenbar recht klein, wie Insider bestätigten. Der Job gilt als kompliziert, weil die Gründerfamilie eben immer noch mitredet. Am Ende hat Chandra wohl auch deshalb das Rennen gemacht, weil er innerhalb des Konzerns aufgestiegen ist und ihn seit drei Jahrzehnten kennt. Er kam nach einem Informatikstudium im Jahr 1987 zu Tata; zuletzt führte er jenes Unternehmen, das indische Gazetten gerne als Perle des Konzerns herausheben: Tata Consultancy Services (TCS) erwirtschaftet mit IT-Geschäften zehn Pro-zent des Gesamtumsatzes und sichert 40 Prozent des Profits bei Tata.

Er werde schon hineinwachsen in seine neue Rolle, sagte Chandra, der verheiratet ist und einen Sohn hat. Bescheidene Wor-te. Doch bei Tata wissen alle, was er seit 2009 als Chef von TCS geleistet hat: Die Gewinne des Software-Exporteurs hat er in nur sieben Jahren vervierfacht.

Als Chef des weit verzweigten Tata-Imperiums wacht er nun über mehr als 650 000 Mitarbeiter und Niederlassungen in mehr als 100 Ländern. Seine Erfolge bei TCS haben seinen Ruf als tadelloser Manager noch bestärkt. Doch nun sind auch alle neugierig, wie er es anstellen will, lahmende Unternehmen unter dem Tata-Schirm wieder flottzumachen. Schließlich stehen längst nicht alle so strahlend da wie das Vorzeigeunternehmen TCS. Die Stahlbranche steckt in einer schweren Krise, und auf dem heimischen Automarkt hat Tata mit wachsender Konkurrenz zu kämpfen. Auch die Hotelsparte schwächelt. Die Palette des Konzerns ist breiter gefächert als in jedem anderen Weltunternehmen, die Geschäfte reichen von Salz über Stahl bis zur Software. Doch sind es vor allem der IT-Sektor und die Produktion von Luxuskarossen bei Jaguar Land Rover, die Tata größere Gewinne sichern.

Für Aufmerksamkeit sorgt, dass Chandra, anders als seine Vorgänger und die Gründer, nicht zur Glaubensgemeinschaft der Parsen gehört. Dennoch wird er nach 30 Jahren bei Tata deren Geschäftsphilosophie bestens kennen. Die Gruppe pumpt viel Geld in Bildungsstätten und soziale Einrichtungen, sie hat immer auf hohe ethische Standards gepocht. Doch der rabiate Streit mit Ex-Manager Mistry, dessen Rauswurf bis heute niemand recht verstanden hat, kratzte an der Glaubwürdigkeit. Chandra soll verlorenes Ansehen zurückgewinnen. Er wird das auf seine Art versuchen, hartnäckig, aber unaufgeregt. Nichts kläre sich an einem Tag, sagt er. "Alles ist Langstrecke."

© SZ vom 16.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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