Nahaufnahme:Steht auf!

Lesezeit: 2 min

J. D. Vance: "Natürlich gibt es auch anderswo sehr talentierte Gründer und Mitarbeiter." (Foto: TED)

Trump-Erklärer J. D. Vance investiert in die Provinz - gemeinsam mit dem AOL-Gründer Steve Case.

Von Malte Conradi

Er ist jetzt einer von ihnen, einer der Männer mit dem Fernseh-Dialekt. So nannte J. D. Vance als Kind diese Menschen, die er nur aus dem Fernsehen kannte: Sie drückten sich gewählt aus, auch wenn sie sich stritten. Sie schrien oder prügelten sich nie, sie waren nicht besoffen und sie sprachen ohne diesen schweren Dialekt seiner Heimat. Vance stammt aus Middletown, Ohio: einst eine stolze Stahlarbeiterstadt, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren in Armut, Alkoholismus und Hoffnungslosigkeit versank. Der Vater verschwunden, die Mutter drogenabhängig, sprach von Anfang an alles gegen ihn. Und doch ist er nun mittendrin in dieser Blase von San Francisco, in der sich die Eliten aus Geld, Unternehmertum und Intelligenz ihrer Großartigkeit versichern.

Nach dem Militär und einem Studium an der feinen Yale-Universität arbeitete Vance für den deutschstämmigen Investor Peter Thiel. Bis hierhin wäre es eine schöne Aufsteigergeschichte gewesen. Ein öffentliches Ereignis aber wurde sein Leben, als Vance seine Familiengeschichte veröffentlichte. Kurz vor Donald Trumps Wahl zum Präsidenten erschien "Hillbilly Elegy", wurde zum Bestseller und zum Erklärbuch für die Eliten an Ost- und Westküste, was da los ist in weiten Teilen der verarmten weißen Mittelschicht im Landesinnern.

Und trotz allem merkt man es Vance doch an, wenn er zwischen Software-Milliardären auf einem Podium sitzt oder wenn er mit Start-up-Gründern über das nächste große Ding diskutiert: dass ihm das Ganze ein bisschen fremd ist. Still ist er da und ernst und er spricht nur, wenn er das Gefühl hat, er habe etwas zu sagen.

Dieser ständige Optimismus sei ja bestimmt toll, wenn man Wachstum und Innovationen fördern wolle, hat er einmal gesagt. Gehe es aber um den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft, dann sei es kein besonders gutes Rezept. Denn die Realität in Amerika, die sei doch eine ganz andere. Und dahin, in die Realität, kehrt er nun zurück.

Zwar nicht gleich nach Middletown, aber doch in die etwas vergessenen mittelgroßen Städte, nach Memphis, Louisville oder Pittsburgh. Gemeinsam mit AOL-Gründer Steve Case hat Vance einen Risikokapitalfonds gegründet, der in Start-ups aller Art investiert - vorausgesetzt, sie kommen nicht aus dem Silicon Valley, New York oder der Gegend um Boston. 75 Prozent des amerikanischen Risikokapitals fließen in diese drei Regionen, wiederholt Vance immer wieder, alleine 50 Prozent gehen ins Silicon Valley. "Aber natürlich gibt es auch anderswo sehr talentierte Gründer und Mitarbeiter", sagt Vance. "Diese Leute müssen nicht mehr zwingend ins Silicon Valley kommen, um Erfolg zu haben."

Eine Renaissance der mittelgroßen Städte beschwört er. Zwar würden die Kohle- und Stahljobs nicht wiederkehren, wohl könnten aber Start-ups viele neue Arbeitsplätze in die vergessenen Gegenden zwischen den Küsten bringen. Rise of the Rest, der Aufstieg des Rests also, heißt der Fonds etwas pathetisch - aber passend. Denn als der Rest fühlen sich heute viele Amerikaner, wenn immer nur von der goldenen Zukunft Kaliforniens die Rede ist.

Zu teuer, zu verwöhnt, zu bequem, so wird das Silicon Valley in letzter Zeit immer öfter beschrieben. Vances Fonds passt wunderbar in diese Erzählung. 50 000 Dollar bekommt ein Software-Ingenieur in Alabama oder Kentucky als Einstiegsgehalt - im Valley kann es leicht das Drei- oder Vierfache sein. Dass da etwas entstehen könnte zwischen den Küsten, das glauben inzwischen einige. Zahlreiche Milliardäre haben Geld in Rise of the Rest gesteckt, darunter Amazon-Gründer Jeff Bezos, die frühere HP-Chefin Meg Whitman und der langjährige Starbucks-Chef Howard Schultz.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: