Nahaufnahme:Schwimmen auf Distanz

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Wouter Dekkers: „Beim ersten Bier sind es 1,5 Meter Abstand und es bleibt dabei. Beim dritten Bier können daraus schon mal zehn Zentimeter werden.“ (Foto: StagiaireMGIMO/CC BY-SA4.0)

Wie Wouter Dekkers dafür sorgt, dass Menschen zusammen Spaß haben.

Von Lea Hampel

An diesen Anruf wird sich Wouter Dekkers, 49, noch lang erinnern. Es war der 27. Februar 2020, er war in seiner niederländischen Heimat. Einer der Gäste, sagte seine Sekretärin am Telefon, sei an Corona erkrankt. "Bei uns sind natürlich alle Alarmglocken angegangen, auch für uns war das Neuland", sagt Dekkers. War sein Job bis dahin gewesen, dass möglichst viele Menschen auf begrenztem Raum zusammenkommen und Spaß haben, würde er nun dafür Sorge tragen, dass sich möglichst viele Menschen aus dem Weg gehen, ohne den Spaß zu verlieren.

Seit Januar 2019 ist Dekkers Chef der "Brand Tropical Islands", die seit Dezember 2018 zum spanischen Freizeitkonzern Parques Reunidos gehören. Exakt fünfzig Minuten braucht der Regionalzug vom Hauptbahnhof Berlin zu einem nach dem Freizeitkomplex benannten Bahnhof. Wer von dort mit dem Shuttle weiterfährt, landet in einer ehemaligen Zeppelinhalle mit 27 Grad, Tipis und Heißluftballon, Palmen und Tropenvögeln. Und könnte selbst an kühlen Tagen vor lauter Planschen, Futtern und Schlummern vergessen, dass das Brandenburg ist, nicht die Balearen.

Entsprechend groß war der Schock, als im Februar die globale Realität in der eskapistischen Kuppel ankam. Fast 20 Jahre ist Dekkers in der Branche, war unter anderem Chef des Movie Parks Germany in Bottrop. Szenarien für Anschläge kannte er. Nicht aber für eine Pandemie. Für ihn begann eine Phase, in der er so viel gearbeitet hat, dass ihn seine Frau zum Spaziergang zwischendrin zwingen musste. Der positiv auf Corona Getestete stellte sich zwar als Einzelfall heraus, doch zwischen Ende Februar und Mitte März kamen Stornierungen rein und immer mehr Mitarbeiter fragten, ob die Arbeit sicher wäre. Am 13. März schließlich entschied Dekkers, die Anlage zu schließen. Wenige Tage später kamen bundesweite Ausgangsbeschränkungen und 90 Prozent von Dekkers 550 Mitarbeitern waren in Kurzarbeit.

Für Dekkers stellten sich zwei Fragen. Wie die Zeit nutzen? Letztlich, sagt er, hatten sie "Glück im Unglück". Sie konnten in wenigen Monaten Bauarbeiten, die sonst drei Jahre das Badeglück getrübt hätten, erledigen. Die zweite Frage war: Wie wieder öffnen? Im Idealfall würden die Menschen von 1. Juli an kommen. Im schlimmsten Fall wäre die Anlage bis Anfang 2021 zu. Auch das, sagt Dekkers, wäre trotz der 45 000 Euro Kosten am Tag möglich gewesen. Aber es wäre schmerzhaft gewesen. Ab Mitte April sprach er deshalb mit dem Gesundheitsamt, dem Wirtschaftsministerium, dem Tourismusverband, aber auch dem Chef der Therme Erding.

Gleichzeitig begann er, Konzepte zu erarbeiten: Wo geht welcher Gast entlang, wo wird es eng, wo zirkuliert zu wenig Luft? Wo sind Richtungspfeile nötig und wo Plexiglas? Daran, dass die volle Zahl erlaubter Gäste kommen würde, hatte er nie Zweifel. "Der Trend, dass die Menschen zu Hause bleiben, hilft der heimischen Freizeitindustrie." Er sollte recht behalten: Am Tag, als klar war, dass sie wieder öffnen würden, war das Callcenter überlastet. Alle 2500 Übernachtungsplätze sind auf Wochen ausgebucht.

Wo seine Mitarbeiter früher schauen mussten, dass niemand ertrinkt oder Pommes ins Wasser wirft, gibt es nun zusätzliche Aufgaben, vor allem abends, wenn in der Halle die Grillen zirpen und die Drinks fließen: "Beim ersten Bier sind 1,5 Meter Abstand und es bleibt dabei", sagt Dekkers. "Beim dritten Bier können daraus schon mal zehn Zentimeter werden." In solchen Momenten vergessen zwar die Gäste kurz, dass Corona draußen wütet. Aber Dekkers schreibt schon am Plan, falls die Infektionszahlen steigen. Dieses Mal will er vorbereitet sein, wenn das Handy klingelt.

© SZ vom 28.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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