Nahaufnahme:Krieg der Trolle

Lesezeit: 2 min

EU-Justizkommissarin Jourová sorgt sich um die Europawahl. Sie befürchtet, dass Russland und andere Länder gezielt Desinformation betreiben könnten.

Von Helmut Martin-Jung

Vĕra Jourová hastet mit ihrem jungen Assistenten in das Besprechungszimmer ihres Amtssitzes im Brüsseler Berlaymont-Gebäude, wo schon eine Journalistenrunde auf sie wartet. Die EU-Kommissarin für Verbraucherschutz und Gleichstellung gehört nicht zu denen, die Verspätung als das legitime Recht mächtiger Menschen ansehen. "Mein Tag war dermaßen durchgetaktet", entschuldigt sich die 54-Jährige.

In ihr Ressort fallen wichtige Themen wie etwa der Datenschutz. "Der Fall Cambridge Analytica hat gezeigt, dass die alten Regeln nicht mehr taugten", sagt sie. Der Skandal um das britische Unternehmen, das massenhaft und illegal Daten von Facebook genutzt hat, um die US-Wahl zu beeinflussen, habe gezeigt, dass es so nicht mehr weitergehen könne. "Das war für mich eine unerwartete Gelegenheit, zu erklären, worum es beim Datenschutz geht."

Die EU-Datenschutzgrundverordnung steht zwar im Ruf, ein Bürokratiemonster zu sein, doch hätte sie im Fall Cambridge Analytica bereits gegolten, wäre die Buße viel höher ausgefallen. Die Millionensummen, die nun als Bußen festgesetzt werden können, hätten "eine abschreckende Wirkung", da ist sich die Tschechin sicher, "besonders bei Firmen, deren Hauptgeschäft der Umgang mit Daten ist". Beim jüngsten, am vergangenen Freitag bekanntgewordenen Datenskandal des sozialen Netzwerks könnte sie schon gelten. Jourová hat angekündigt, das untersuchen zu lassen.

Weil sie Sorge hat, dass der Vorteil EU-einheitlicher Datenschutzregeln durch nationale Auslegung und Gewohnheiten zunichtegemacht wird, hat sie vor Kurzem alle Mitgliedsländer angeschrieben: "Wir müssen aufpassen, dass da nicht wieder ein Flickenteppich entsteht." Die Kommission werde darüber wachen, ob die Mitgliedsländer die Verordnung umsetzen.

Derzeit bewegt sie allerdings ein anderes Thema mehr. Es geht darum, wie sich verhindern lässt, dass bei der anstehenden Europawahl über soziale Netzwerke Einfluss genommen wird. Gefahr der Desinformation gehe sicher von Russland aus, sagt Jourová. Aber auch andere hätten gelernt, diese Taktiken zu nutzen. Und solche Praktiken seien inzwischen auch mehr und mehr in die politische Auseinandersetzung selbst eingedrungen. "Eine Wahl, das ist heute nicht mehr business as usual."

Sie sei dazu mit Plattformbetreibern wie Facebook und Twitter im Gespräch, sagt die Kommissarin. Dass dies ein heikles Terrain ist, weiß sie aus eigener Anschauung: "Ich habe mein halbes Leben in einem Land verbracht, in dem die kommunistische Partei bestimmt hat, was die Wahrheit ist." Aber nein, ein Wahrheitsministerium richte sie deshalb nicht ein, entgegnet sie energisch Kritikern, die ihr das vorwerfen.

Die studierte Kulturwissenschaftlerin hat auch selbst erfahren, was es heißt, mit falschen Vorwürfen konfrontiert zu werden. 2006, sie war damals für Entwicklungspolitik in ihrer Heimatregion zuständig, wurde sie nach einer Auslandsreise vor laufenden TV-Kameras am Flughafen festgenommen und wegen des Verdachts auf Bestechung 33 Tage in Untersuchungshaft genommen. Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos, sie wurde rehabilitiert und finanziell entschädigt.

Die Frist von nur einer Stunde, innerhalb der Plattformen wie Facebook etwa Videos wie das des Terrorangriffs in Neuseeland löschen sollen, verteidigt sie zwar. Aber es treibt sie auch die Sorge um, dass viele Nutzer durch den überaus rauen, von Trollen angeheizten Ton im Netz abgeschreckt würden und sich nicht mehr an der politischen Debatte beteiligen würden. "Das sehen wir uns auch an", verspricht die Kommissarin. Ihren eigenen Facebook-Account hat sie übrigens schon vor Jahren gelöscht.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: