Nahaufnahme:Häng dich rein

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Facebook-Vize Sheryl Sandberg kämpft für mehr Fürsorge im Büro. Denn dort verbringt der Mensch sehr viel Zeit, sagt die Managerin, die selbst eine Krise überwinden musste.

Von Lea Hampel

Sheryl Sandberg, Vizechefin von Facebook, hatte tatsächlich die Wirkung sozialer Medien unterschätzt. Am 3. Juni 2015, einen Monat, nachdem ihr Mann gestorben war, hatte sie einen Facebookpost verfasst. Sie schilderte darin die ersten Wochen der Trauer, ihre guten und schlechten Momente. Sie wollte, so erzählte sie später, vor allem jene Menschen erreichen, die aus Verlegenheit nicht mehr mit ihr sprachen. Sie erreichte wesentlich mehr: Mehr als 400 000 Menschen teilten den Beitrag, fast eine Million drückten ihr Beileid aus. Knapp zwei Jahre später ist daraus ein Buch geworden, "Option B", vergangene Woche erschienen, ist eine Langfassung des Posts - und ein Appell an Firmen.

"Ich habe dreißig Jahre gelebt in diesen dreißig Tagen. Ich bin dreißig Jahre trauriger", stand in Sandbergs Post von damals. Es waren erschütternde Worte einer Frau, von der man zuvor eher Ruckreden kannte. Sandberg, seit 2008 für das operative Geschäft von Facebook zuständig, war vor allem für das Buch "Lean In" (frei übersetzt: Häng dich rein) bekannt. Darin forderte sie Frauen in der Geschäftswelt auf, sich anzustrengen und Selbstbewusstsein zu zeigen. Sie lebte diesen Anspruch vor, war Harvard-Absolventin, später Mitarbeiterin im US-Finanzministerium. Schließlich ging sie zu Google, dann wurde sie die Nummer zwei hinter Marc Zuckerberg bei Facebook, wo sie das Werbegeschäft der Internet-Plattform aufbaute. Sie war präsent bei den Elternabenden ihrer beiden Kinder und in Meetings des Unternehmens, erfolgreich und sympathisch. Sie und ihr Mann Dave Goldberg, ebenfalls ein Silicon-Valley-Unternehmer, waren das, was man gern ein Power-Paar nennt. Umso größer war die Bestürzung, als Goldberg mit 47 Jahren plötzlich starb.

Der Post, mit dem Sandberg ihre Trauer öffentlich machte, war für sie ein Erweckungserlebnis: Viele andere Menschen, Betroffene, Angehörige, aber auch Kollegen, bestärkten sie, sich dem Thema zu widmen. Dass nun ein Buch aus zwei Jahren Trauerarbeit geworden ist, ist ohnehin logisch: Offenheit ist schon lange das oberste Prinzip der Unternehmerin. "Bring dein ganzes Selbst zur Arbeit" hat sie vor Jahren bei einer ihrer vielen Reden gesagt: "Ich glaube nicht, dass wir von Montag bis Freitag ein professionelles Selbst haben und ein echtes Selbst in der restlichen Zeit", sagt sie. "Es ist alles professionell, und es ist zugleich alles privat."

Im Buch mit dem Untertitel "Dem Unglück begegnen, Resilienz entwickeln, Freude finden" erzählt Sandberg, 47, von all den furchtbaren Momenten: Kindergeburtstagen, die sie lächelnd durchzustehen hatte, Besprechungen, in denen sie einschlief vor Erschöpfung, Elternabende, die sie allein besuchen musste. "Ich wollte einfach nur überleben", schreibt sie. Gemeinsam mit dem Psychologen Adam Grant erklärt sie, wie Trauer funktioniert. Vor allem aber zieht Sandberg Schlüsse, die weit über ihre Situation hinausreichen. Ihr Buch ist ein Plädoyer dafür, im Job private Schwierigkeiten nicht zu verstecken. Sandberg wünscht sich stattdessen eine Kultur der Offenheit und Fürsorge: "Ich möchte, dass sich die Menschen bei der Arbeit umeinander kümmern", sagt sie in einem Interview. "Wissen Sie, wie viele Stunden wir in der Arbeit verbringen? Mehr als zu Hause." Bei Facebook gibt es aus diesem Grund nun 20 garantiert freie Tage bei einem Trauerfall. Außerdem sollen Mitarbeiter in Personalgesprächen persönliche Probleme thematisieren.

"Option B" heißt das Buch - Option A wäre ein Leben mit ihrem Mann gewesen. Nun, betont Sandberg, gehe es darum, das beste aus Variante B zu machen. Letztendlich ist es wieder eine Form, sich reinzuhängen. Ganz, wie es ihr ein Rabbiner riet: "Lean into the suck."

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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