Nahaufnahme:Globaler geht's nicht

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"Wenn wir nur das Recht bräuchten, Geschäfte in Europa zu machen, wären wir sicher nicht nach London gegangen." Ismail Ahmed. (Foto: OH)

Fintech-Gründer Ismail Ahmed hat keine Angst vor dem Brexit - seine Kunden stammen aus aller Welt. Und seine Firma kümmert sich um eines ihrer größten Probleme.

Von Lea Hampel

Kurz muss Ismail Ahmed lachen. Weggehen, aus London, wegen der Brexit-Abstimmung? Nein, nicht wirklich. London gefällt ihm, er hat die Zentrale seines Unternehmens World Remit gern hier. "Wenn wir nur das Recht bräuchten, Geschäfte in Europa zu machen, wären wir sicher nicht nach London gegangen." Da hätte es andere, günstigere Standorte gegeben. Ein Brexit reicht nicht, damit Firmen in Scharen gehen, ist er überzeugt - dafür habe London zu viel Talente, zu viel Flair.

Dabei hätten sich vermutlich viele Wirtschaftspolitiker gefreut, Ahmed zu begrüßen. World Remit - ein Service, mit dem man Geld rund um die Welt auf andere Konten, Handys oder an Barauszahlorte senden kann -, ist eines der wichtigsten Fintech-Start-ups, und ein ganz besonderes. Denn während viele Unternehmen auf den westlichen Markt schauen, stammen Ahmeds Kunden häufig aus Afrika und Asien, leben fern ihrer Heimat und schicken über World Remit Geld an die Verwandten zu Hause. "Wir sind vermutlich das im wahrsten Sinne des Wortes globalste aller Fintech-Unternehmen", sagt der 56 Jahre alte Geschäftsmann.

Für ihn war die Marktlücke offensichtlich, lange bevor er 2010 gründete. Er ist in Somalia aufgewachsen. Seine Familie bekam Unterstützung von Verwandten außerhalb des Landes. Um das Geld abzuholen, musste jemand in den nächstgrößeren Ort fahren, eine lange und teure Reise. "Und es dauerte oft Monate", erinnert er sich. Später studierte Ahmed in Großbritannien. Als er seinen ersten Job hatte, begann er, selbst Geld zu schicken. Dafür musste er jedes Mal durch ganz London fahren, "das war teuer und unbequem". Als er später für die Vereinten Nationen in einem Programm arbeitete, indem es darum ging, trotz neuer internationaler Bestimmungen Geld nach Afrika zu senden, kam ihm die Idee, daraus ein Geschäft zu machen.

Sein Ziel: den windigen Eckladen, die hohe Gebühren verlangen, durch Services zu ersetzen, die jeder über ein Handy, Tablet oder einen Computer nutzen kann und Marktgrößen wie Western Union Konkurrenz machen. Bis jetzt gelingt das: Unter den 400 Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent, deren Handynummer zugleich ihr Konto ist, hat World Remit den höchsten Marktanteil, das Geld kann in mehr als 120 Länder geschickt werden und die Kunden tätigen etwa 400 000 Geldtransfers im Monat. Der Wert der Firma wird auf 450 Millionen Euro geschätzt.

Aber ist nicht eine Entscheidung im eigenen Land gegen offene Grenzen Gift für ein Unternehmen wie World Remit? "Natürlich waren auch wir überrascht vom Referendumsergebnis", sagt Ahmed. Trotzdem hatte sich das Unternehmen auf schwankende Wechselkurse eingestellt und hat profitiert. "Schließlich passiert in der Start-up-Welt dauernd Unerwartetes - da muss man immer auf alles vorbereitet sein."

Schlecht ist die Entscheidung für einen Abschied aus der EU für ihn trotzdem - oder vielmehr für seine Kunden. Sinkt der Wert des Pfundes, ist die Summe im Land, in das sie geschickt wird, weniger wert als bisher. "Und steigern können das die wenigsten Arbeitsmigranten", sagt Ahmed, "die meisten schicken ohnehin schon das ihnen mögliche Maximum."

Wenn sie zudem wegen schlechter wirtschaftlicher Bedingungen weniger verdienen, können sie weniger nach Hause schicken. Niedriglohn-Jobs, die Migranten aus Asien und Afrika machen, wären zudem in einer Rezession besonders bedroht. Rund zehn Prozent, schätzt Ahmed, dürften diese Einbußen in den nächsten Jahren betragen. Dass nicht nur in Großbritannien, sondern überall weniger Migranten arbeiten und damit die Zahl potenzieller Kunden sinkt, glaubt er nicht. "Migration gehört zu jedem Land."

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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