Nahaufnahme:Eine Irin für die EZB

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Sharon Donnery könnte Europas oberste Bankenaufseherin werden. Die Vize-Chefin der irischen Zentralbank bringt viel Erfahrung mit - und den richtigen Pass.

Von Markus Zydra

Sharon Donnery erinnert sich an ihre ersten Besuche in Frankfurt. Die Irin hatte 1996 ihr wirtschaftswissenschaftliches Studium an der Universität Dublin beendet und mit einer akademischen Karriere geliebäugelt, da sah sie dieses interessante Jobangebot bei der irischen Zentralbank. Donnery bewarb sich. "Es war ein glücklicher Umstand, dass ich die Stelle bekam, weil meine berufliche Zukunft in der Wissenschaft ganz anders verlaufen wäre", erzählte Donnery in einem Gespräch mit der Zeitung Sunday Independent.

Donnery kümmerte sich fortan als Ökonomin bei der Zentralbank um Geldpolitik. In Frankfurt hatte die Vorläuferinstitution der Europäischen Zentralbank, das Europäische Währungsinstitut, 1995 mit den Vorbereitungsarbeiten zum Start der Eurozone begonnen. "Ich schrieb Briefings für die Sitzungen der Notenbankchefs", erinnert sie sich an die Zeit vor über 20 Jahren.

Nun könnte Donnery ab 2019 hauptberuflich in Frankfurt arbeiten. Sie gilt als Favoritin im Kampf um die Nachfolge von Danièle Nouy an der Spitze der EZB-Bankenaufsicht. Der Vertrag der Französin endet zum Ende des Jahres, und es scheint in Brüssel und Frankfurt politisch ausgemacht, dass erneut eine Frau aufs Schild gehoben wird. Die Irin ist die einzige weibliche Kandidatin.

Die Personalie ist Teil einer großen Rotation von EZB-Spitzenposten, bei der es traditionell immer auch um eine "gerechte" Verteilung nach Nationalität geht. Irland ist zwar Gründungsmitglied der Eurozone, doch durfte bislang noch kein Ire und keine Irin einen Topjob bei der Notenbank bekleiden. Donnery hat guten Einblick in die EZB-Bankenaufsicht. Sie war dort im Auftrag Nouys Leiterin einer Arbeitsgruppe, die eine Regelung finden sollte, mit der Europas Banken ihre faulen Kredite abbauen. Die Meinungen über Donnerys Arbeit in dem Gremium gehen auseinander. Es gibt Mitglieder im obersten EZB-Aufsichtsgremium, denen die Vorschläge von Donnery zu den riskanten Kreditportfolios der Banken nicht weit genug gingen. Andere fanden die gefundene Lösung als genau richtig. Mancher empfindet die Irin als "zu still", um die EZB-Bankenaufsicht zu führen. Andere sagen, sie sei "streng" und halten sie daher für den Posten sehr geeignet.

Mit dem irischen Notenbankchef Philip Lane macht sich ein weiterer Ire Hoffnung auf einen Spitzenposten. Er wird als Nachfolger des EZB-Chefvolkswirts Peter Praet gehandelt, der bald ausscheidet. Zwei Iren für zwei EZB-Spitzenämter? Das kann man sich kaum vorstellen. Gut möglich also, dass Lane nicht antritt, zumal er sich für die Kollegin stark gemacht hat.

Neben Donnery hat sich auch der Chef der französischen Finanzaufsicht, Robert Ophele, um die Nachfolge von Nouy beworben. Er gilt als qualifiziert, doch seine Chancen stehen schlecht. Nicht nur wegen seines Geschlechts - Frankreich will wohl einen eigenen Kandidaten für die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi positionieren. Da stehen die Chancen Frankreichs besser, weil die Bundesregierung offenbar nicht mehr bereit ist, Bundesbankpräsident Jens Weidmann um jeden Preis als Draghi-Nachfolger durchzusetzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) möchte stattdessen einen Deutschen als nächsten EU-Kommissionschef sehen.

Die EZB ist seit Herbst 2014 für die Kontrolle der großen Banken in den 19 Euro-Staaten zuständig. Inzwischen überwacht sie 119 Geldhäuser direkt. Für Donnery, die seit 2016 Vizechefin der irischen Zentralbank ist, könnte sich beruflich ein Kreis schließen. Vielleicht zieht sie bald ein ins oberste Stockwerk des alten EZB-Towers in der Frankfurter Innenstadt, wo sie sich als junge Frau im Jahr 1996 ihre ersten beruflichen Sporen in der Notenbankwelt verdient hat.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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