Nahaufnahme:Die Wut des Lokführers

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„Es gibt Display-Probleme. Damit steht der Lokführer auf der Strecke und weiß nicht, wo er sich befindet.“ Claus Weselsky. (Foto: dpa)

Nach der Pannenserie auf der Neubaustrecke: GDL-Chef Weselsky wirft der Bahn schwere Fehler vor.

Von Markus Balser

Claus Weselsky weiß, wie es ist, für Stillstand bei der Bahn kritisiert zu werden - vor allem vom Bahn-Management. Der GDL-Chef hat für die Interessen seiner Lokomotivführer in der Vergangenheit mit harten Bandagen und tagelangen Streiks gekämpft. Doch Weselsky hatte seine eigenen Wege gefunden, mit Ärger umzugehen. Als eine Boulevardzeitung während eines Ausstands seine Telefonnummer abdruckte, ließ er die Anrufe auf den damaligen Bahnchef Rüdiger Grube umleiten.

Seit Tagen schon muss sich nun der Konzern für Stillstand und Verzögerungen ausgerechnet auf seiner neuen Prestigestrecke zwischen Berlin und München kritisieren lassen. Arbeitnehmervertreter hielten sich bislang zurück. Doch nun macht der 58-Jährige seinem Ärger Luft. Zu Unrecht sieht er seine Lokführer in der Kritik. Weselsky nimmt die Mitarbeiter an der Basis in Schutz.

Weselsky wirft dem Management schwere Fehler bei der Einführung des neuen Sicherheits- und Zugführungssystems vor, das seit Tagen Züge des Konzerns auf der Neubautrasse Berlin - München buchstäblich ausbremst. "Wenn wir solche modernen Systeme wie ETCS einführen, dann müssen sie auch zu 100 Prozent funktionieren", sagt er der Süddeutschen Zeitung. "Und zwar von Anfang an. Alles andere ist für die Kunden, aber auch für Mitarbeiter eine Zumutung."

Längst gibt es auch intern Ärger wegen der hektischen Umsetzung. "Wir haben es mit einer neuen Technik zu tun, die sehr rasant eingeführt wurde. Da kommt vieles zusammen. Technische Probleme, aber auch die späte Information an die Mitarbeiter", sagt er. "Unsere Lokomotivführer wurden erst sehr spät informiert. Sie haben etwa erst in der Woche vor der Einführung ein überarbeitetes Regelwerk für die Trasse bekommen. Einige konnten erst spät auf der Strecke geschult werden. Das macht einen solchen Start nicht leichter." Weselsky weiß, was sich derzeit in den Cockpits zwischen München und Berlin abspielt, und liefert überraschend Einblicke.

"Es gibt Display-Probleme. Damit steht der Lokführer auf der Strecke und weiß nicht, wo er sich befindet. Wenn bei ihm keine Signale mehr ankommen, kann er nicht im elektronischen System weiterfahren." Denn eine Rückfallebene mit Signalen gibt es im neuen ETCS-System nicht mehr. "Dann aber geht es statt mit Höchstgeschwindigkeit und Tempo 300 eben nur im Schneckentempo weiter." Der Lokführer müsse dann "auf Sicht" fahren. Das heißt: Tempo 40 - jedenfalls bei besten Witterungsbedingungen. Die Bahn-Führung äußerte sich am Mittwoch erstmals auch selbst öffentlich zur Pannenserie. Fernverkehrschefin Birgit Bohle entschuldigte sich bei den Kunden. Der Start auf der neuen Strecke sei "missglückt". Der Konzern will nun bei Verspätungen auf der Trasse besonders kulant reagieren. Kunden bekämen ab 60 Minuten Verspätung den vollen Fahrpreis erstattet und einen Reisegutschein von mindestens 50 Euro. Vorgeschrieben ist ab einer Stunde Verzögerung die Erstattung von 25 Prozent des Fahrpreises, bei zwei Stunden sind es 50 Prozent.

Aus Sicht des streitbaren Gewerkschaftsführers geht es derzeit bei den Bahnproblemen allerdings um mehr als nur um die Neubautrasse Berlin - München: "Wir glänzen ja im Moment nicht dadurch, dass der eigentliche Eisenbahnbetrieb des alten Systems besonders zuverlässig wäre", sagt Weselsky. "Alle Welt schaut nun nur noch auf die Neubautrasse. Dabei beweist die Bahn täglich, dass sie es auch auf den anderen 33 000 Kilometern nicht pünktlich hinbekommt. Wenn wir sonst besser wären, würden wir auch bei einem Leuchtturmprojekt nicht ein so negatives Echo bekommen."

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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