Nahaufnahme:Der Systemwechsler

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"Es macht viel mehr Spaß, wenn die Kunden einen bezahlen. Man ist nicht mehr der Dödel." Holger Steiniger. (Foto: oh)

Versicherungsmakler Steiniger nimmt nicht Provision, sondern Honorar von Kunden, die er berät. Das mache mehr Spaß: "Man ist nicht mehr der Dödel."

Von Jonas Tauber

Holger Steiniger meldet sich zu Wort. Dazu gehört ein wenig Mut in einem Saal mit mehr als 200 Versicherungsvertretern und Maklern. Die Stimmung ist aufgeheizt in dem Berliner Hotel, in dem der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) tagt. Politiker und Verbraucherschützer haben gerade das Provisionssystem kritisiert, mit dem die meisten Vermittler ihr Geld verdienen. Buhrufe, Lachen, Empörung sind die Folge. Da steht Steiniger auf.

Er gehört zur Branche, ist BVK-Mitglied - und nimmt keine Provisionen. Er lässt sich von den Menschen bezahlen, die er berät, so wie ein Steuerberater oder Anwalt. Und die Kunden, die ihm Honorar zahlen, können im Gegenzug sogenannte Nettotarife abschließen. Sie sind deutlich günstiger, weil keine Provisionen einkalkuliert sind. Steiniger verschafft sich Gehör. "Ich will keine Provision, weil mich meine Kunden ja bezahlen."

Der Verband vertritt eine andere Linie. Die zunehmende Kritik am Provisionssystem macht den Lobbyisten Sorgen. Dazu kommt die Konkurrenz durch die neuen Online-Makler, und dass die Versicherungsgesellschaften infolge der Niedrigzinsen Kosten sparen müssen.

BVK-Präsident Michael Heinz ist vehement gegen eine Offenlegung der Provisionszahlungen gegenüber Kunden. Er fürchtet, dass dies das Einfallstor für ihre Abschaffung sein könnte.

Steiniger verkauft im thüringischen Greiz vor allem Schadenversicherungen - Gebäude, Auto, Hausrat - verschiedener Anbieter an Privatkunden. Seit 25 Jahren ist er im Geschäft. Weil die Provisionseinnahmen auch durch die Verschärfung von Gesetzen immer weiter zurückgingen, hat der 48-Jährige 2015 den Systemwechsel gewagt: Statt Provisionen nimmt er seitdem ein Honorar, unabhängig davon, ob Kunden anschließend eine Versicherung abschließen oder nicht. Nach knapp einem Jahr zieht Steiniger eine positive Bilanz. Der Blick der Kunden auf ihn habe sich positiv verändert. Seit sein Service etwas kostet, werde er als Fachmann ernster genommen. "Es macht viel mehr Spaß, wenn die Kunden einen bezahlen", sagt er. "Man ist nicht mehr der Dödel."

Die Gegner der Honorarberatung argumentieren, dass sich dann nur noch Großverdiener die Beratung leisten können. Das kann der Makler nicht bestätigen. "Ich habe viele Geringverdiener unter meinen Kunden, die meisten von ihnen finden die Umstellung gut", sagt Steiniger. 200 seiner 2000 Kunden hat er auf Honorar umgestellt, nur vier seien dagegen gewesen.

Der Mann gehört der Partei Die Linke an, das ist unter Versicherungsvermittlern noch seltener als die Honorarberatung. Steiniger berechnet sein Honorar nach Stundensätzen zwischen 75 Euro und 150 Euro. Alternativ können sich seine Kunden für einen Honorarvertrag entscheiden, der neben einem Jahresgespräch verschiedene Maklerleistungen wie die Schadenabwicklung abdeckt. Das Honorar bemisst sich nach dem Brutto-Jahreseinkommen der Kunden. Mindestens fällig sind 240 Euro im Jahr. Mit einer Ausnahme: Wer auf Grundsicherung angewiesen ist, muss nichts bezahlen.

Ein Problem für ihn als Honorarvermittler ist, dass viele Versicherer keine Policen ohne Provision anbieten. "Axa, Allianz oder R+V bieten im Sachversicherungsgeschäft mit Privatkunden keine Netto-Policen an", kritisiert Steiniger. Für ihn ist offensichtlich, dass dahinter die Absicht der Versicherer steht, ihre Vertreter zu schützen. Gäbe es Nettotarife neben den Standardverträgen, müssten sie sich unangenehmen Fragen der Kunden stellen. "Derzeit fehlt der Druck auf die Versicherer, Netto-Policen anzubieten." Das könnte sich ändern, wenn mehr Makler von Provision auf Honorar umschwenken.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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