Nahaufnahme:Der Prophet

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"Jeder kann irgendwas vorhersagen, aber nur einige wenige machen's richtig." Ian Pearson (Foto: OH)

Ian Pearson beschäftigt sich hauptberuflich mit der Zukunft. Der Brite ist Zukunftsforscher. Und er trifft mit seinen Vorhersagen oft ins Schwarze.

Von Helmut Martin-Jung

Aufstehen, duschen, frühstücken, Zeitung lesen - bis dahin unterscheidet sich der Tag des Ian Pearson nicht von dem von Millionen anderer Briten. Das Ungewöhnliche an Pearson ist, dass er gar nicht mehr aufhört mit dem Lesen. Er arbeitet sich durch Tageszeitungen, ruft Webseiten aus seinem Interessensgebiet auf, geht interessanten Links nach, die er zum Beispiel im Kurznachrichtendienst Twitter findet. Zwei, drei Stunden geht das so, jeden Tag. Und dann? "Und dann denke ich darüber nach."

Pearson, der einst Mathematik und Physik studierte, auch einen Doktortitel erwarb, denkt nach, was aus dem, was war und was ist, einmal werden könnte. Wie es sich zum Beispiel verhält mit der Balance zwischen Leben und Arbeit, dem Umgang mit der Mode oder dem Klimawandel. Oder auch, wie ein Laptop aussehen könnte. Er ist Futurologe.

Das ist, wie man im englischen Sprachraum sagt, keine rocket science, keine Raketenwissenschaft, aber sogar das wäre kein Problem für Pearson. In seinem ersten Job entwickelte er vier Jahre tatsächlich Raketen. Danach wechselte er zur British Telecom und erfand Dinge wie Text-Messaging, also das Übermitteln von Botschaften über Mobilgeräte und aktive Kontaktlinsen. 1991 wurde er dort Leiter der Abteilung Zukunftsforschung, und er blieb in dieser Funktion bis 2007.

Dann machte er sich selbständig mit seiner kleinen Firma Futurizon. Seither hat er schon mehr als 1000 Vorträge gehalten, eine Reihe von Büchern geschrieben und gut 500 Auftritte in Fernsehen und Hörfunk hinter sich gebracht. "Jeder kann irgendwas vorhersagen", sagt er über seine Profession, "aber nur einige wenige machen's richtig." Auch er kann das nicht immer für sich in Anspruch nehmen. Durchschnittlich etwa 15 Prozent seiner Prognosen stellten sich als falsch heraus. Bleiben 85 Prozent, mit denen er richtig lag - keine schlechte Quote und natürlich um Längen besser als die Scharlatane, die es in seinem Metier auch gibt. "Die machen so wolkige Vorhersagen, dass sie fast auf alle Umstände passen, die eintreten können."

Wenn Firmen - und die Liste seiner Kunden liest sich wie ein Who's who führender Unternehmen - wenn also Firmen ihn beauftragen, wollen sie in aller Regel schon etwas konkretere Angaben. Als der japanische Elektronikkonzern Toshiba Pearson engagierte, ging es zum Beispiel um die Frage, wie es denn künftig weitergehen würde mit mobilen Computern. Würden Tablets, die schicken flachen Computer mit Berührungsbildschirm, Laptops schließlich ganz verdrängen - oder könnte es gerade andersherum sein? Schließlich können Laptops heute schon unglaublich flach und leicht gebaut werden.

Pearson kam zu dem Schluss: weder noch. "Wenn Sie noch gut sehen, dann reicht Ihnen ein Smartphone, aber wenn Sie älter werden, dann ist ein Tablet mit seinem großen Bildschirm besser." Eingesetzt würden diese Geräte aber weiterhin als Zweit- und Dritt-Computer. Denn: "Immer wenn Tablets ohne physische Tastatur auf den Markt kamen, gab es bald danach auch Tastaturen dafür zu kaufen." Die Menschen schrieben eben gerne mit richtigen Tasten. "Als ich hörte, dass der Laptop verschwinden solle, war ich deswegen auch sehr skeptisch."

Von Laptops zum großen Ganzen: Erweiterte und virtuelle Realität sieht Pearson als große Zukunftstrends, immer werde man die dazu nötigen Geräte, etwa Brillen, nicht tragen wollen. Die Fenster in selbstfahrenden Autos stellt er sich als Bildschirme vor. Nur eines, glaubt er, wird uns bleiben, auch wenn sein Verschwinden schon oft vorhergesagt wurde: Papier. Pearson sagt, er sei schon immer skeptisch gewesen.

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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