Nahaufnahme:Der Millionen-Professor

Lesezeit: 2 min

Timothy Stringer: "Wenn wir den Sommer über weggehen, wer kümmert sich dann um die Gemüseernte?" (Foto: Scott Eisen/Bloomberg)

Seine Forschung hat Timothy Springer reich gemacht. Der Biochemiker ist nicht nur ein brillanter Wissenschaftler, sondern auch ein äußerst erfolgreicher Gründer.

Von Claus Hulverscheidt

Eine Villa am Meer? In den Hügeln von Hollywood? "Kein Bedarf", sagt Timothy Springer und winkt ab. Er habe doch bereits ein Haus im schicken Bostoner Vorort Chestnut Hill, dazu den herrlichen Nutzgarten. Wozu also ein zweites? Und überhaupt: "Wenn wir den Sommer über weggehen, wer kümmert sich dann um die Gemüseernte?"

Dass Springer, Professor für Biochemie und Molekularpharmakologie an der Universität Harvard, überhaupt gefragt wird, warum er sich kein Anwesen auf Cape Cod oder keinen Ferrari kauft, hat seinen Grund: Der 70-Jährige ist in den USA nicht nur als Denker, Forscher und Träger vieler Preise bekannt, er hat seine Erkenntnisse über die Jahrzehnte auch immer wieder für Firmengründungen genutzt und so ein Vermögen gemacht. Mit Aktien im Wert von mehreren Hundert Millionen Dollar dürfte er einer der reichsten, vielleicht sogar der reichste Wissenschaftler des Landes sein.

Den Grundstein für den finanziellen Erfolg legte Springer mit der Untersuchung sogenannter Zelladhäsionsmoleküle und ihrer Wirkung im Immunsystem. Ziel war es stets, Arzneien oder personalisierte Impfstoffe gegen einzelne Krebsarten, Autoimmunerkrankungen und zuletzt Malaria zu entwickeln. Derzeit forscht er an einer Schutzimpfung, die nicht nur Menschen vor einer Malaria-Infektion bewahren, sondern auch Mücken daran hindern soll, den Erreger überhaupt zu verbreiten.

Dass derlei Forschung nicht nur wissenschaftlichen Ruhm, sondern auch Reichtum einbringen kann, erfuhr Springer bereits 1999. Damals bot ihm der Pharmakonzern Millennium Pharmaceuticals an, seine Firma Leukosite zu kaufen, die unter anderem an der Entwicklung von Medikamenten gegen Leukämie und Darmentzündungen arbeitete. Über Nacht war der Wissenschaftler, der heute in Harvard sein eigenes "Springer-Labor" betreibt, ein gemachter Mann: Er strich 100 Millionen Dollar ein, die er jedoch nicht in Sportwagen und Landhäuser steckte, sondern in neue Unternehmen - eigene wie fremde. Erst vor ein paar Wochen landete er den nächsten Coup: Der Börsengang der Biotech-Firma Moderna, die er einst mitgegründet hatte, spülte Aktien im Wert von 400 Millionen Dollar in sein Depot. Zwar gab der Börsenkurs seit Anfang Dezember um 25 Prozent nach, aber auch mit 300 Millionen Dollar lässt es sich ja recht ordentlich leben.

Springer, der nach wie vor zur Universität radelt und auf dem Campus Jeans trägt, sieht sich selbst weiter als Wissenschaftler und nicht als stinkreichen Investor. Seine Freunde, sagt er, seien zumeist Akademiker - sollte er tatsächlich einmal abheben, würden die ihn schon auf den Boden zurückholen. Einen Teil seines Geldes spendet er für soziale Zwecke, zudem hat er mit 25 Millionen Dollar das Institut für Protein-Innovation gegründet. Es betreibt Grundlagenforschung, die viele Pharmakonzerne mangels Rentabilität nicht finanzieren.

Nur eine einzige kleine Extravaganz leistet sich der Multimillionär: Er sammelt die in China beliebten Gongshi-Steine, auch Gelehrtensteine genannt, die mit ihren oft bizarren Formen nicht nur seit Jahrhunderten Dichter und Künstler inspirieren, sondern denen auch - hier kommt der Biomediziner ins Spiel - heilsame Wirkungen auf Körper und Seele nachgesagt werden. Die Vorbereitungen für seinen größten finanziellen Erfolg, den Börsengang von Moderna, bekam Stringer kaum mit, weil er an einem Gongshi-Vortrag für die Bostoner Bildhauergalerie arbeitete. "Die Art und Weise, wie er sich für die Steine interessiert, ist die gleiche, mit der an seine Arbeit herangeht", sagte die Gongshi-Expertin Kemin Hu der Agentur Bloomberg. Wenn Springer etwas wirklich liebe, wolle er unbedingt auch etwas tun. "Das ist genau die Geisteshaltung, die du in der Wissenschaft brauchst."

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: