Nahaufnahme:Aus der Nische

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„In den vergangenen zwei, drei Jahren war es wie mit einem Flugzeug,das mit laufenden Motoren auf dem Rollfeld steht. Jetzt ist es der Take-off“, sagt Christoph Schell. (Foto: oh)

Christoph Schell leitet das 3-D-Druck-Geschäft bei HP. Die Technik wird die Produktion in Unternehmen stark verändern, prophezeit er.

Von Helmut Martin-Jung

Zum Beispiel Zahnspangen. Das ist Hightech, der von Spezialisten angefertigt und von Fachärzten meist über Jahre hinweg immer wieder angepasst werden muss, bis die Zähne eben wieder geradestehen. Oder aber: Von einem Abdruck aus Knetmasse werden vom Computer 16 Zahnschienen berechnet, jede davon korrigiert die Fehlstellung etwas mehr, in sechs Monaten ist die Sache üblicherweise vorbei.

Christoph Schell kann sich so richtig in Begeisterung reden, wenn er solche Beispiele erzählt. Beispiele dafür, wie mit 3-D-Druck nicht bloß etwas irgendwie hergestellt werden kann, sondern sich dadurch auch Geschäftsmodelle verändern - vielleicht sogar in nicht mehr zu ferner Zukunft große Teile der Fertigungsindustrie.

"In den vergangenen zwei, drei Jahren war es wie mit einem Flugzeug, das mit laufenden Motoren auf dem Rollfeld steht", sagt der 47-Jährige, "jetzt ist der Take-off." Immer wieder mal muss der Deutsche überlegen, wie etwas eigentlich in seiner Muttersprache heißt. Schon seit vielen Jahren ist er beim IT-Konzern HP. In Reutlingen studierte er BWL, arbeitete dann aber die meiste Zeit in englischsprachigen Ländern. Bis Herbst vergangenen Jahres verantwortete er das komplette Hardware-Geschäft von HP in Nord- und Südamerika, doch dann wurde eine Stelle frei, die ihn elektrisierte: Die Leitung der neuen 3-D-Druck-Sparte. Schell griff sofort zu.

3-D-Druck, "das war ja eine Branche, die lange in eine Nische verkauft hat", sagt Schell, "jetzt sind wir Start-up-getrieben." Es entstünden neue Geschäftsmodelle, "es geht vom Prototyping in die Produktion." Das Wichtigste ist dabei für Schell nicht der Druck selbst: "Es geht nicht darum, irgendwie zu produzieren", sagt er, "es geht darum, das in die Firmenprozesse zu integrieren." Der große Unterschied: Die Vernetzung - das also, was man in Deutschland Industrie 4.0 und sonst eher Internet of Things (IoT) nennt. Und das bedeutet vor allem: Software spielt eine immer wichtigere Rolle.

Es gibt aber auch noch einen anderen wichtigen Aspekt. Den 3-D-Druck, oder, wie die Experten sagen, die additive Fertigung. Sie ermöglicht, Objekte herzustellen, die sich mit anderen Methoden schlicht nicht produzieren lassen. Ein Bauteil, in dessen Innerem Strukturen wie in einem Vogelknochen für Stabilität bei größtmöglicher Leichtigkeit sorgen. Bauteile gar, die bewegliche Teile enthalten oder elektronische Schaltungen - so etwas lässt sich in einem Arbeitsgang nur additiv fertigen, also Schicht für Schicht.

HP hat dafür ein neues Verfahren erfunden. Wie bei anderen Geräten wird ein Granulat aus Kunststoff oder aus Metall in einer dünnen Schicht in den sogenannten Bauraum aufgebracht. Während andere mit Laserlicht die Stellen erhitzen, die sich verfestigen sollen, sprühen die HP-Maschinen zuerst Chemikalien auf diese Stelle und erhitzen das Material dann. Weil die besprühten Stellen dunkler sind, wirkt die Hitze dort zuerst, das restliche Pulver verändert sich nicht. Daher kann es auch später wiederverwendet werden.

Schell erwartet, dass schon bald noch mehr Materialien für den 3-D-Druck zur Verfügung stehen. Die Unternehmen müssten aber auch ins Datenmanagement investieren: Die Daten eines einzigen Bauraums, etwa einige Bierkisten groß, brauchen vier Terabyte Speicherplatz. Langfristig könnten die Industriestaaten wieder mehr an Fertigung zurückholen, glaubt Schell, die Produktion werde dezentraler. Die Druckdaten müssten aber sicher gespeichert und weitergegeben werden, sonst ließen sich leicht illegale Kopien anfertigen. Zu seinem Hobby, Schlagzeug spielen mit seiner Band in Palo Alto, wird Christoph Schell in nächster Zeit wohl kaum kommen.

© SZ vom 20.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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