Nahaufnahme:Auf ein Wort

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„Sprache ist mehr als ein Soft Skill, es ist eine Entäußerung des Denkens“, sagt Simone Burel. (Foto: LUB/oH)

Simone Burel analysiert in Geschäftsberichten und E-Mails jedes Wort - und ermittelt so die Werte und das Denken von Firmen.

Von Franziska Nieß, München

Das Vorurteil, dass Geisteswissenschaftler in der Wirtschaft nicht ernst genommen werden, kann Simone Burel nicht bestätigen. "Geisteswissenschaftler machen sich oft selbst klein, dabei bringen sie wertvolle Fähigkeiten mit", sagt die promovierte Linguistin. Sie selbst ist keine, die sich klein macht. In ihrer Dissertation untersuchte sie die Sprache der Dax-Unternehmen und heimste dafür nicht nur ein summa cum laude, sondern auch eine Auszeichnung und ein Post-Doc-Stipendium ein. Die am häufigsten benutzten Wörter in den Geschäftsberichten der größten deutschen Börsenunternehmen: Verantwortung, Nachhaltigkeit, Zukunft, Werte, Mehrwert. Siemens buchte sie anschließend für eine linguistische Imageanalyse. "Sprache ist mehr als ein Soft Skill, es ist eine Entäußerung des Denkens", sagt die 34-Jährige. Bereits nach 100 gesprochenen oder geschriebenen Wörtern entstehe ein Eindruck der betreffenden Person. Daher unterscheidet die Psycho-Linguistik mehr als 30 sprachliche Kategorien, die auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale schließen lassen.

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Anders als Kommunikationswissenschaftler untersucht Burel jedes einzelne gesprochene und geschriebene Wort in Geschäftsberichten, Meetings, E-Mails oder auf Webseiten. Im Jahr 2015 machte sie daraus ein Geschäftsmodell und gründete eine linguistische Unternehmensberatung, LUB. Ein eigenes Unternehmen war für sie die einzige Option. "Ich bin ein Freigeist und kann mich schlecht unterordnen." Für eine akademische Karriere sei sie zu ungeduldig.

Das wissenschaftliche Arbeiten hat sie dennoch nicht aufgegeben. Zum Glück. Denn das Forschungsfeld Gender-Linguistik entwickelt sich seit 2017 zum erfolgreichsten Geschäftsbereich. Aus einem Auftritt bei einem Science-Slam - einem Wettbewerb, bei dem Forscher innerhalb kurzer Zeit ihre Themen einem Publikum vorstellen - entstand aus einem Wortwitz die Marke Dr. fem. Fatale. Unter dieser Marke bieten Burel und ihr Team, zu dem mittlerweile zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören, Trainings für Frauen an, die sich mithilfe von Stimme und Sprache besser in der Arbeitswelt positionieren wollen. Das Programm der Fatale-University, ein Online-Coaching mit zehn Modulen wie Auftreten, Verhandeln und Sichtbarkeit, reicht über die ursprüngliche Geschäftsidee hinaus. "Sprache ist dabei ein Bestandteil, aber im Fokus steht die Karriere-Strategie."

Gemischte Teams können sich im Umgang mit gendersensibler Sprache schulen lassen. Aber auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber lernen einiges bei Dr. fem. Fatale, zum Beispiel über die richtigen Formulierungen in Stellenanzeigen. "Junge Menschen und Frauen lesen Texte anders." Die Adjektive "sympathisch" und "kommunikativ" lassen Frauen demnach beim Lesen von Stellenanzeigen aufhorchen. Ganz wichtig: "Auf keinen Fall ein Unternehmensfoto, auf dem nur Männer zu sehen sind und bitte den gesamten Anzeigentext gendern - nicht nur die Jobbezeichnung im Titel."

Neben der gendergerechten Sprache steht auch die Kommunikation über Chatbots im Fokus. Diese automatisierten Dialogfenster tauchen häufig beim Besuch einer Unternehmenswebsite auf. "Wir wollen diese Kommunikationsform authentischer gestalten." Das dritte wachsende Geschäftsfeld bilden Nachhaltigkeitsberichte. Burel gründete jüngst das Start-up Spenoki mit, das mithilfe einer cloud-basierten Lösung Unternehmen dabei hilft, ihre Nachhaltigkeitsstrategie zu analysieren, zu optimieren und zu kommunizieren. Ihr Credo "Wissenschaft meets Wirtschaft" geht für die Linguistin auf. Man müsse Sprache nur sichtbar machen. Dann gibt es auch nichts zu verstecken.

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