Diversität am Arbeitsplatz:Vielfalt Fehlanzeige

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Vor allem Frauen werden hierzulande im Job benachteiligt: Gut 44 Prozent der Erwerbstätigen sagen, dass Mitarbeiterinnen in ihrer Firma selten befördert würden.

(Foto: imago stock&people/imago/Westend61)

Haben Frauen die gleichen Chancen? Arbeiten Menschen verschiedener Nationalitäten gut zusammen? Erwerbstätige in Deutschland stellen ihrem Arbeitgeber ein schlechte Zeugnis in Sachen Diversität aus, zeigt eine Umfrage.

Von Bernd Kramer, München

Wenn man Stellenanzeigen studiert, muss einem die Arbeitswelt wie das Paradies der Toleranz erscheinen, wie eine Welt, in der Menschen verschiedenen Geschlechts und verschiedener Herkunft zusammenkommen und alle die gleichen Chancen haben. Der Softwarekonzern Infineon etwa wirbt mit den Worten für sich, man sei stolz darauf, jede Form von Vielfalt begrüßen zu dürfen. Coca-Cola preist in einem Inserat sein firmeneigenes "Regenbogennetzwerk für die LGBTI*-Belegschaft", und reihenweise berufen inzwischen Konzerne Diversity-Beauftragte, die für eine buntere Belegschaft sorgen sollen. Diversität ist ein großes Wort - und oft steckt erschreckend wenig dahinter.

Darauf deutet zumindest eine aktuelle Umfrage hin, die der SZ exklusiv vorliegt. Die Online-Stellenbörse Stepstone wollte von Erwerbstätigen in Deutschland, Großbritannien und Frankreich wissen, als wie divers sie ihr eigenes Arbeitsumfeld erleben. Die Befragten aus Deutschland stellen ihren Arbeitgebern dabei in vielen Punkten ein besonders schlechtes Zeugnis aus. So haben in Deutschland gerade einmal 39 Prozent der Erwerbstätigen den Eindruck, dass ihr aktueller Arbeitgeber in den vergangenen drei Jahren Fortschritte in Sachen Vielfalt und Chancengleichheit gemacht hat. In Großbritannien und Frankreich sehen jeweils mehr als die Hälfte der Befragten Verbesserungen in ihrem Betrieb. 45 Prozent der Befragten in Deutschland finden sogar, dass ihr Arbeitsplatz überhaupt nicht vielfältig sei - in den anderen Ländern ist der Anteil derer, die nach eigener Einschätzung in einem nicht diversen Unternehmen arbeiten, deutlich geringer.

Vor allem Frauen werden hierzulande im Job benachteiligt - zumindest beobachten viele Deutsche das so an ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld. Gut 44 Prozent der Erwerbstätigen sagen, dass Mitarbeiterinnen in ihrer Firma selten befördert würden. In Großbritannien und Frankreich berichteten jeweils weniger als 40 Prozent der Befragten von dieser Art der Geschlechterdiskriminierung in ihrem Betrieb. Dass Menschen unterschiedlicher Nationalität an ihrem Arbeitsplatz gut zusammenarbeiten, befanden 85 Prozent der britischen Befragten - aber lediglich gut 70 Prozent der Umfrageteilnehmenden in Frankreich und Deutschland.

An Vielfalt mangelt es also - und gerade für Deutschland dürfte diese Klage besonders aussagekräftig sein. Etwa 11 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben hierzulande im Juni 2020 an der Online-Umfrage teilgenommen. Laut Stepstone sind die Ergebnisse damit repräsentativ für die Erwerbstätigen in Deutschland, was die Zusammensetzung nach Alter, Geschlecht und Bildungsgrad angeht. In den beiden Vergleichsländern Großbritannien und Frankreich wurden weniger Menschen befragt. Dass die britische und französische Stichprobe ebenfalls repräsentativ für alle Erwerbstätigen im Land sind, können die Umfragemacher zwar nicht garantieren. Man habe aber auch in Großbritannien und Frankreich gezielt Menschen aus verschiedenen Berufen, Branchen und Altersgruppen zur Teilnahme aufgerufen, um einen möglichst guten Querschnitt der Gesellschaft zu erhalten und Verzerrungen zu vermeiden, heißt es von Stepstone. Aus Sicht der Verantwortlichen bei der Online-Stellenbörse sind die Ergebnisse der drei Länder damit durchaus zu vergleichen - und bilden zumindest in der Tendenz ab, wie unterschiedlich die Menschen in den Ländern ihr Arbeitsumfeld erleben.

Auch der Anteil von Frauen in den Führungspositionen deutscher Unternehmen steigt nur sehr langsam. Die Quote liegt derzeit einer Datenbank-Auswertung der Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel zufolge bei 24,9 Prozent, wie aus einer Übersicht hervorgeht, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Das war nicht mal ein Prozentpunkt mehr als vor gut einem Jahr - damals hatte Crifbürgel einen Wert von 24,2 Prozent ermittelt. Die Organisation Frauen in die Aufsichtsräte (Fidar) forderte erneut mit Nachdruck eine Ausweitung der verpflichtenden Quote in Aufsichtsräten auf börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen. "Das wäre der Hebel, um deutlich mehr Breitenwirkung zu erzielen und weit mehr Frauen in Führungspositionen zu holen", sagte Fidar-Chefin Monika Schulz-Strelow der dpa. "Die verbindliche Frauenquote macht den Unterschied." Bei den 105 Unternehmen, die bereits einer gesetzlichen Quote unterliegen, gebe es "größere Fortschritte". Doch: "Je kleiner die Unternehmen sind und je weniger sie in der Öffentlichkeit stehen, desto geringer ist der Frauenanteil in Führungspositionen."

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