Nahaufnahme:Alles, was nötig ist

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"Wir werden nicht zögern, jedwede zusätzliche Maßnahme zu ergreifen, die nötig ist." Mark Carney. (Foto: dpa)

Mark Carney, der Chef der Bank of England, macht den Draghi. Er will wie ehedem der EZB-Chef die Märkte mit allen Mitteln beruhigen und das Vertrauen bewahren.

Von Björn Finke

Der Mann, auf den es jetzt ankommt, schaut müde aus. Das britische Pfund hat in den vergangenen Stunden dramatisch an Wert verloren, auch die Aktienkurse sind gefallen. Mark Carney, Chef der Bank of England, schreitet zum Rednerpult, grummelt "Morning" und legt los. Der Notenbank-Gouverneur versichert, dass die Banken des Landes solide dastünden und auf die Turbulenzen an den Finanzmärkten gut vorbereitet seien. Sollten die Institute dennoch Probleme haben, sich Geld zu beschaffen, werde die Bank of England das Finanzsystem stützen, mit mehr als 250 Milliarden Pfund. Doch das Wichtigste hebt er sich bis zum Schluss auf: "Wir werden nicht zögern, jedwede zusätzliche Maßnahme zu ergreifen, die nötig ist."

Diese Rede hielt Großbritanniens oberster Währungshüter am Freitagmorgen, nachdem das Ergebnis des EU-Referendums die Märkte weltweit erschüttert hatte. Sein Versprechen erinnert an Mario Draghi, den Chef der Europäischen Zentralbank, der 2012 ausgerechnet in London gesagt hatte, er sei bereit, "zu tun, was immer nötig sein wird, um den Euro zu schützen". Mit dieser Ankündigung stellte Draghi damals während der Schuldenkrise das Vertrauen der Investoren in die Euro-Zone wieder her.

Nun muss Carney verhindern, dass Anleger, Geschäftspartner und Kunden das Vertrauen in britische Banken verlieren. Nicht nur der Pfundkurs, sondern auch die Aktienkurse der Royal Bank of Scotland, von Barclays und Lloyds sanken rasant. Schließlich könnte der Finanzplatz London unter einem EU-Austritt leiden. Volkswirte erwarten zudem, dass der Sieg des Brexit-Lagers die Konjunktur belastet.

Es ist die größte Bewährungsprobe für Carney, der seit drei Jahren Chef der Notenbank ist. Und es könnte seine letzte sein, denn der 51-Jährige hat sich bei den Brexit-Befürwortern viele Feinde gemacht. Der "George Clooney unter den Notenbankern" - so nennen ihn britische Medien wegen der schicken Anzüge und des Lächelns - hatte mehrmals gewarnt, dass ein Sieg des Austritts-Lagers ein großes Risiko für die Stabilität des britischen Finanzsystems sei. In seiner Rede am Freitag wiederholte er diese Einschätzung.

Brexit-Fans bei den regierenden Tories werfen ihm deshalb vor, sich in die Politik einzumischen und die Unabhängigkeit der Zentralbank zu beschädigen. Ein Abgeordneter der Konservativen forderte im Fernsehen Carneys Rücktritt.

Der Kanadier ist der erste Ausländer an der Spitze der Notenbank. Geholt hat ihn Schatzkanzler George Osborne. Der ist ebenfalls unbeliebt im Austritts-Lager. Premierminister David Cameron tritt bis Oktober ab; sein Nachfolger könnte Brexit-Anführer Boris Johnson werden. In dem Fall könnten sich weder Osborne noch Carney ihres Postens sicher sein.

Vor seinem Wechsel nach London leitete Carney die kanadische Notenbank. Der Ökonom hat in Harvard studiert und in Oxford promoviert. Dort lernte er seine britische Frau kennen, mit der er vier Töchter hat. Nach dem Uni-Abschluss fing er bei der Investmentbank Goldman Sachs an. Frühere Kollegen dort sagen, Carney habe immer schon in den öffentlichen Dienst gewollt, um etwas zu bewegen. Doch der gut bezahlte Job bei Goldman Sachs half, nach dem teuren Studium in Harvard die Schulden zurückzuzahlen. Im Jahr 2003 wechselte er zur kanadischen Notenbank, zunächst als Vize-Gouverneur. Zwischenzeitlich arbeitete er im Finanzministerium, 2008 ging es zurück zur Zentralbank, diesmal als Chef. Dass Kanada die Finanzkrise glimpflich überstanden hat, gilt auch als Verdienst der Währungshüter.

Als Carney in London anfing, waren die Erwartungen groß. Ob zu Recht oder zu Unrecht, wird sich jetzt zeigen.

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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