Mittelstand:"Viele Eigentümer warten, bis nichts mehr zu retten ist"

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Familienforscher Tom Rüsen über verletzte Gefühle, Scham als Insolvenzgrund und die bisweilen unrühmliche Rolle der Banken.

Elisabeth Dostert

Tom Rüsen, 34, ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke. Für seine Promotion hat er sich intensiv mit Krisen von inhabergeführten Firmen beschäftigt. Sein Ergebnis: Ohne Einbindung der Familie ist die Sanierung kaum zu schaffen - doch deren Rolle verkennen Berater und Banker oft.

"Irgendwann erreicht die unternehmerische Krise auch die Familie, weil deren Existenz letztendlich von der der Firma abhängt." (Foto: Foto: Robert Haas)

SZ: Herr Rüsen, jedes Jahr gehen in Deutschland fast 30 000 Firmen pleite. Wie viele wären zu retten?

Rüsen: Die allermeisten. Krisen sind unvermeidbar, sie gehören zum Lebenszyklus eines Unternehmens wie Leben und Tod zum Menschen. Entscheidend ist, wie flexibel der Unternehmer und seine Familie mit der Krise umgehen. Viele Eigentümer warten viel zu lange, bis nichts mehr zu retten ist und nur der Gang zum Amtsgericht bleibt.

SZ: Weshalb?

Rüsen: Aus Scham, vor der Familie und der Gesellschaft eine Niederlage einzugestehen und Hilfe zu brauchen. Die Familie wird häufig viel zu spät über die Schieflage informiert. Die Krise wird tabuisiert. Das geht nur eine Zeitlang gut. Irgendwann erreicht die unternehmerische Krise auch die Familie, weil deren Existenz letztendlich von der der Firma abhängt. Gerade in der Krise kommt der Familie eine besondere Bedeutung zu.

SZ: Welche denn?

Rüsen: Sie resultiert aus der emotionalen Verflechtung von Familie und Firma. Die handelnden Personen nehmen mehrere Rollen ein: Zum einen sind sie Familienmitglied, Sohn, Tochter, Vater, Ehefrau, zum anderen aber auch Geschäftsführer, Beirat oder Gesellschafter.

SZ: Klingt so, als seien Spannungen praktisch vorprogrammiert.

Rüsen: Nicht zwangsläufig. Die Rollenvielfalt birgt Stärken und Schwächen. In erfolgreichen Familien werden Krisen gemeinsam bewältigt, das ist Teil der Familienkultur. Die Familienmitglieder sind eher bereit, ihre eigene Rolle und Entscheidungen zu hinterfragen, sich mit der eigenen Unzulänglichkeit auseinanderzusetzen, externen Rat zu suchen und anzunehmen. Da übernehmen in der Krise manchmal Familienmitglieder eine zentrale Rolle, die bisher in der Firma keine Funktion haben, etwa die Gattin ohne Gesellschafteranteile oder die Schwester. Auch die Mitarbeiter erweisen sich häufig als Stärke für Familienunternehmen.

SZ: Wie das?

Rüsen: Weil sie durch ihre enge Bindung an das Unternehmen und die Familie eher bereit sind, einen Sanierungsbeitrag zu leisten, etwa in Form eines vorübergehenden Lohnverzichts oder unbezahlter Mehrarbeit. Diese Bindung ist häufig stärker als die zum Betriebsrat oder zu Gewerkschaften. Auch Kunden und Lieferanten sind hier aufgrund langjähriger Beziehungen eher mal bereit, eine Sanierungsphase zu unterstützen.

Seite 2: Die Rolle der Banken

SZ: Welche Schwächen birgt die Rollenvielfalt der Familie?

Rüsen: Die Gefühle verschärfen die Krise, weil einzelne oder mehrere Familienmitglieder sachlich gerechtfertigte Sanierungsmaßnahmen torpedieren, weil sie nicht mit der Tradition brechen wollen oder die neue Strategie ihrem Empfinden nach gegen die Familienkultur verstößt. Auch erfahrene externe Berater, Banker, Interimsmanager verkennen häufig die Rolle der Familie.

SZ: Hauptsache, möglichst schnell raus aus den Verlusten?

Rüsen: Ja. Die betriebswirtschaftlich notwendigen Maßnahmen werden rasch erkannt und umgesetzt. Aber solche Einschnitte sind schmerzhaft. Da werden Traditionen gebrochen, Standorte geschlossen, Mitarbeiter entlassen, Familienmitglieder, die Fehler gemacht haben, müssen die Geschäftsführung verlassen. Externe Manager werden bestellt. Von diesen Veränderungen müssen die Berater die Familie überzeugen, weil sie die Sanierung mittragen und leben muss, sonst funktioniert sie nicht.

SZ: Und die Berater dürfen niemanden aus der Familie als Versager dastehen lassen.

Rüsen: Ja, es geht ja auch um die Ehre der Familie. Mindestens ein Fünftel der Unternehmen, die jährlich Insolvenz anmelden müssen, wären zu retten gewesen, weil sie im Kern betriebswirtschaftlich gesund waren - aber die Rettung scheiterte am Widerstand einflussreicher Familienmitglieder. Das kann der Patriarch sein, aber auch der Schwiegersohn, weil er weder in der Firma noch in der Familie seinen Status verlieren will.

SZ: Die Familien sehen häufiger die Banken als Schuldigen. Ist das falsch?

Rüsen: Die Banken sind schnell als Feindbild ausgemacht. Mit der Einführung der neuen Rating-Vorschriften sind einige Banken allerdings tatsächlich übers Ziel hinausgeschossen: Da wurden zum Teil ganze Branchen, wie etwa die Textilindustrie oder Bauunternehmen, pauschal als nicht kreditwürdig eingestuft. Da wurden Kredite selbst bei einer geringen Verschlechterung der Bilanzrelationen gekündigt, in ein Portfolio mit Problemkrediten eingebracht oder gleich an Beteiligungsgesellschaften verkauft, die auf Sanierungsfälle spezialisiert sind. Auch die Banken verkennen die Rolle der Familie häufig völlig. Die Dynamik von Familienunternehmen ist ihnen meist schlichtweg egal. Solche Banker verstehen ihre Kunden nicht.

SZ: Was steckt dahinter: Arroganz, Ignoranz?

Rüsen: Beides vielleicht. Häufig erweisen sich nur Banker und Berater als einfühlsam, die selbst aus einem Unternehmen stammen oder enge Kontakte zu Unternehmerfamilien pflegen. Viele Banker und Berater lassen sich ausschließlich von der Arithmetik leiten. Die denken in betriebswirtschaftlichen Kennziffern. Psychosoziale Faktoren, die in Familienunternehmen eine enorme Rolle spielen, lassen sich nicht in Zahlen fassen, dann werden sie eben ignoriert. Das ist nicht Teil der Bankausbildung, auch viele Berater lernen das nicht.

SZ: Welche Banken sind Ihnen besonders unangenehm aufgefallen?

Rüsen: Ich kann keine Namen nennen. Auch unter Bankern gibt es solche und solche. Einige Mitarbeiter großer deutscher Banken haben sich ziemlich danebenbenommen. Unternehmer, mit denen ich gesprochen habe, wurden gewaltig unter Druck gesetzt. Hier wurde der psychosoziale Hebel gezielt eingesetzt: Denen hat man gedroht, wenn du nicht das und das machst, zwingen wir dich in die Insolvenz und du bist in deiner Region ein Niemand mehr. Es gibt aber auch Banker, die sich nicht nur mit der Firma, sondern auch mit der Familie beschäftigt haben und so zur Überwindung der Krise maßgeblich beigetragen haben.

Interview: Elisabeth Dostert

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