Minol-Tankstellen:Warum in Leipzig ein kleines Stück DDR überlebt hat

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Fast 100 Prozent Bekanntheitsgrad: Als Monopolist betrieb Minol in der DDR zuletzt 1250 Tankstellen und gab 9000 Menschen Arbeit; Tankwartin an einer DDR-Minoltankstelle um 1960. (Foto: Kurt Hartmann/akg)
  • Der VEB Kombinat Minol versorgte die DDR mit Benzin. Doch wie so viele Firmen der ehemaligen DDR wurde er in den 90ern verkauft.
  • Dennoch haben sich in einigen Bundesländern in Ostdeutschland Minol-Tankstellen gehalten.
  • Verantwortlich dafür sind der aktuelle Eigner der alten Marke, der Total-Konzern - und eine besonderheit des Markenrechts.

Von Cornelius Pollmer, Leipzig

Es gibt Orte, die kann man schon vermissen, bevor sie überhaupt verschwunden sind, und in genau diese Kategorie fällt die Tankstelle von Peter Karrow in Leipzig. An einem Dienstag im Sommer weht dort, in der Lützner Straße, ein leichter Wind, und er weht günstig. Und günstig bedeutet, dass die Tankstelle all ihrem Besuch ein bisschen entgegenkommt, mit einer dezent reizenden Luft, die es nur auf Rezept geben dürfte, so schön frei macht sie die Atemwege. Auf die Gerüche folgen die Geräusche, das Brummen in den Zapfsäulen zum Beispiel oder diese zischenden Luftpupse, wenn der Schlauch mit der Druckluft vom Ventil des Autoreifens wieder abgezogen wird. Auf die Geräusche wiederum folgen drinnen im Shop die Gespräche, wenn man dieses verbale Pingpong überhaupt so nennen möchte. Es sind wirklich sehr kurze Ballwechsel, die Peter Karrow hier mit seinen Kunden spielt, aber sie sind nicht selten von einer bestechenden Klarheit.

Kunde: Die Drei, bitte. Karrow: Vierzigzehn. N' Groschen, hat er den? Kunde: Den hat er.

Kundin: Mit Karte. Karrow: Könnense rausziehen, Geld ist weg. Kundin: Schönentagnoch.

Kunde: Die Zwo. Karrow: Viernsechzigundacht. Kunde: Zettel brauch' ich nicht, danke.

Seit mehr als vier Jahrzehnten arbeitet Peter Karrow an Tankstellen. Er hat in dieser Zeit ein feines Gespür dafür entwickelt, welche ihm fremden Kunden er duzen kann und wen er lieber siezt. Oft geben die ihm schon beim Hereingehen mehr Hinweise, als sie ahnen mögen. Der Gesichtsausdruck, ein federnder Schritt, solche Sachen. Und wenn an einem einzigen Morgen gleich mehrere Männer im KISS-T-Shirt bei Peter Karrow zum Tanken kommen, dann fragt er spätestens den dritten von ihnen, wie es denn so gewesen sei, das Konzert am Vorabend in der nahen Arena. Manchmal fragen die Kunden Peter Karrow auch etwas zurück, zum Beispiel, warum auf dem Dach seiner gewiss schönen Tankstelle noch immer Minol stehe, wo es die Marke doch schon so lange nicht mehr gebe.

Bei Minol blieb der Bezinpreis selbst nach der Ölkrise stabil

Der VEB Kombinat Minol versorgte die DDR mit Kraft- und Schmierstoffen. Tankstellen gab es zwar immer zu wenig, dafür aber einen stabilen Benzinpreis, selbst nach der Ölkrise, mit einer Mark und 50 Pfennig war man für den Liter Normalbenzin dabei. Als Monopolist betrieb Minol zuletzt 1250 Tankstellen, gab 9000 Menschen Arbeit und erreichte in der Bevölkerung des Ostens als Marke einen Bekanntheitsgrad, der locker selbst den von Bundesministerinnen oder Fußballnationalspielern übersteigt, 97 Prozent.

Im Juni 1990 wurde das Kombinat in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, und diese hätte nach Einschätzung marktkundiger Menschen anders als viele andere Firmen aus dem Osten durchaus eine Chance gehabt, im politisch wiedervereinten Deutschland zu überleben. Doch wurde der große Konzern zur Verhandlungsmasse eines noch größeren Deals. In einer von der Treuhand orchestrierten und zuweilen von viel finanziellem Schmierstoff belasteten Privatisierung übernahm der französische Konzern Elf Aquitaine 1993 fast alle Anteile der "MINOL Mineralölhandel AG" zusammen mit der Raffinerie Leunawerke. Noch später wiederum fusionierte Elf sich den eigenen Namen fort, sodass heute bei Peter Karrow in der Lützner Straße in Leipzig eigentlich Total auf dem Dach stehen müsste.

Diesen Samstag treffen sich, zum siebzigsten Firmenjubiläum, alte Minoler: Minol-Tankstelle im Leipziger Westen. (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

Aber es steht dort noch immer Minol, nur die Farbgebung hat sich im Vergleich zum DDR-Früher geändert. Die Kombination Rot-Gelb reklamiert der konkurrierende Konkurrenz Shell für sich. Das Gelb ist Minol geblieben, bestimmt wird die Marke jetzt aber von der Farbe Lila. Und geblieben ist jedenfalls auch die Marke. Minol-Tankstellen gibt es noch im ebenfalls sächsischen Heidenau, im mecklenburgischen Wesenberg sowie in Zeitz in Sachsen-Anhalt. Von 2004 bis 2013 war Peter Karrows Tankstelle sogar die einzig überlebende von Minol. Warum aber, gibt es sie überhaupt noch?

Der Grund ist weniger jene Nostalgie, aus der heraus einige Kunden noch heute Karrows Tankstelle anfahren und ganz bewusst dort zum Stutzen greifen. Der Grund ist vielmehr markenrechtlicher Natur. Dies ist bei Daniel Schöneich genauso zu erfahren wie die Tatsache, dass Twix noch immer auch Raider heißt und sich also auch in dieser Hinsicht nix geändert hat. Alle alten Raider-Titel seien von Twix im Register eingetragen und würden immer wieder erneuert, selbst wenn kein Produkt dieses Namens auf dem Markt ist, sagt Schöneich. Das sei, wie im Falle Minols, ein schönes Beispiel für einen Protektionismus, der im Grunde jedem offensteht. Es geht dabei vielen Firmen darum, eigene Marken im Zweifel auch dann zu schützen, wenn sie dafür gar keine echte Verwendung mehr haben - und sei es nur, damit niemand sonst sich dieser Marken bemächtigen kann.

Eine Marke kann nur gelöscht werden, wenn jemand die Löschung beantragt

Daniel Schöneich ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz bei der Kanzlei Battke Grünberg in Dresden. Er sagt, eine angemeldete Marke sei "das einzige geistige Schutzrecht, das dauerhaft Geltung haben kann, es lässt sich theoretisch bis in alle Ewigkeit verlängern". Praktisch fallen alle zehn Jahre Gebühren an für die Verlängerung des Eintrags, und praktisch ist es auch so, dass jede Marke durch ihren Inhaber zu benutzen sei, "sonst hat jeder andere die Chance, sie löschen zu lassen, das muss dann nicht einmal ein direkter Konkurrent sein, das ist ein Jedermannsrecht". Wobei eine Marke tatsächlich nur dann gelöscht werden kann, wenn irgendein Jedermann die Löschung auch wirklich beantragt. Von sich aus werden in dieser Sache weder das Deutsche Patentamt- und Markenamt noch das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum in Alicante tätig.

Eine Marke wird zum Beispiel benutzt, wenn der Total-Konzern vier echte Tankstellen unter dem wortwörtlichen Dach der Minol betreibt. Und eine Marke wird auch dann benutzt, wenn die Commerzbank zumindest ihre Filiale am Dresdner Altmarkt anders beschildert als üblich.

Von außen betrachtet sieht diese Beschilderung irgendwie falsch aus, wie ein Pixelfehler in der Matrix. Bei der Übernahme der Dresdner durch die Commerzbank im Jahr 2009 wurden die Logos verschmolzen, die Namen jedoch nicht. Hier, auf der Südseite des Altmarkts, steht jedoch neben dem Logo noch heute silbern an der Fassade: Dresdner Bank. Wer in die Filiale darunter geht, bekommt von diesem Relikt nichts mehr mit. In den Bauchbinden auf Screens, in Broschüren und auf Stellwänden, überall fährt die Commerzbank ihr reguläres Programm.

"Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl, ist immer der Minol-Pirol": Peter Karrow kam 19-jährig zu Minol, ließ sich zum Tankstellenleiter fortbilden. Noch heute ist er in Leipzig an der Zapfsäule im Dienst. Das geliebte Maskottchen, den Pirol, gibt es im Internet in allen Farben aus Plastik zu kaufen. (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

So wie die Dresdner Bank gibt es viele Marken-Untote. Der Einzelhändler Plus findet sich noch immer genauso im Register wie die Baumarktkette Praktiker. Es gibt Fälle wie den des Lkw-Herstellers Hanomag Henschel, der seinen Sitz in Hannover hatte und 1974 von der Daimler Benz AG übernommen wurde. Diese verwendet noch heute einzelne Baumuster, die Marke bleibt bislang eingetragen. Ebenso existiert nach wie vor die Marke DKW, obwohl das Unternehmen 1923 mit Audi, Horch und Wanderer in der "Auto Union" aufging. Besonders häufig vertreten sind Titel aus der untergegangenen DDR, die nach der Übernahme durch Firmen aus dem Westen von diesen geblockt werden.

Werden einmal tatsächlich Löschanträge für tatsächlich oder gefühlt verwaiste und verwesende Marken gestellt, so hat der Markeninhaber Nutzungsnachweise zu erbringen. Hintergrund für diesen Benutzungszwang, sagt der Anwalt Schöneich, sei, "dass im Markenregister nur Marken enthalten sein sollen, die auch wirklich genutzt werden. Eine Art Markenhygiene. Für die Unternehmen gibt es zwei Varianten, der Möglichkeit des Verfalls zu begegnen. Umstritten ist jene, Marken einfach selbst neu anzumelden, kurz vor oder nachdem sie sonst ablaufen würden. Verlässlicher ist die Variante, die Marke auch wirklich zu benutzen, "wobei es eine ernsthafte Benutzung sein muss", sagt Daniel Schöneich. Es genüge zum Beispiel nicht, einfach eine Webseite zu bauen und zum Schein zu unterhalten, "man muss Kunden nachweisen können und Werbemaßnahmen".

"Stimmt der Preis nicht, kommt hier keiner mehr."

Kunden kann Peter Karrow an diesem Dienstag im Sommer jede Menge nachweisen, sein Kontakt zu ihnen hat sich in den vergangenen 40 Jahren arg verändert. Karrow war 19, als er seine Arbeit als Maschinen- und Anlagenmonteur in jenem Kombinat kündigte, in dem auch sein Vater arbeitete. An einer Minol, seinerzeit der einzigen Tankstelle in Leipzigs Innenstadt, war eine Stelle frei geworden. Karrow ging also zu Minol und dann bald auf die Abendschule, um sich zum Tankstellenleiter fortbilden zu lassen. 1993, nach der Wende, sollte der nächste Schritt nach oben folgen, Peter Karrow besuchte einen Pächterlehrgang im Panoramahotel in Oberhof, und gerade dort erfuhren er und seine Kollegen, dass Minol verkauft würde. "Das war wirklich schlimm", sagt Karrow, gerade weil es so aussah, als müsse Minol untergehen und damit auch der Pirol, das innig geliebte Maskottchen der Marke, dessen Schnabel nicht zufällig an einen Ausgießer erinnert und dessen Devise bis zu diesem Verkauf in den Neunzigern gewesen war: "Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl, ist immer der Minol-Pirol."

Peter Karrow geht häufiger auf digitale Streife bei Ebay, der Plastik-Pirol in den alten Farben wird dort für mehr als 30 Euro bei Liebhabern gehandelt, ein paar Restbestände verkauft Karrow in seiner Tankstelle. Dass der Pirol sichtbar am Leben bleiben durfte, verdankt Karrow der Übernahme nach der Übernahme, Total bot ihm an, die Tankstelle von Elf nicht auf den neuen Namen umzurüsten, sondern auf den älteren. Diese Umrüstung sicherte Karrow einiges an Stammkundschaft, und die Lage seiner Tankstelle in Leipzig auf dem Weg zur Autobahn 9 tut das Übrige. Aber, sagt Peter Karrow, "egal welche Farben ich draußen dran habe und egal wie schön die leuchten, wenn der Preis nicht stimmt, kommt hier keiner mehr." Richtig eng drohte es bislang erst ein Mal zu werden, 2006 war das und die Straße vor Karrows Tank- eine einzige Dauerbaustelle. Er musste seine Angestellten entlassen und die Tankstelle zwischenzeitlich schließen. "Und ich habe", sagt Peter Karrow, "dann alleine hier gestanden und die Bauarbeiter mit Bockwurst und Kaffee versorgt, damit ich irgendwie über die Runden komme."

Die Marke Minol ist nun 70 Jahre alt geworden, an diesem Samstag gibt es ein Jubiläumstreffen alter Minoler in einem Seehotel. 15.30 Uhr Kaffeetrinken, 16.30 Uhr "Zeitreise Minol", 18.30 Uhr Brandenburgisches Buffet. Wie es die nächsten Jahre weitergeht, weiß man ja selten im Leben und im Falle von Minol erst recht nicht.

Peter Karrow glaubt, Minol werde es noch lange geben, dies sei zumindest sein großer Wunsch. Er wünscht sich, dass Minol nicht allein ein Fall fürs Museum wird, denn genau das gibt es ja auch jetzt schon, das Tankstellenmuseum in Borsdorf, ebenfalls in Sachsen. "Was aber technisch passiert, das weiß natürlich auch niemand", sagt Karrow. Es könne ja sein, "dass wir hier in ein paar Jahren nur noch in aller Ruhe den Wasserhahn aufdrehen, um die Autos zu betanken."

Für den Moment jedenfalls ist festzuhalten, dass die Marke Minol entgegen aller Nachwende-Wahrscheinlichkeit noch existiert und lebt und dass man sich um den Minol-Pirol, Stand jetzt, etwas weniger Sorgen machen muss als um sein tatsächlich gefiedertes Vorbild. Auf der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands befindet dieser Pirol sich derzeit in Gesellschaft des Kuckucks und der Waldschnepfe in der "Kategorie V - Vorwarnliste".

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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