Migranten:Darf es noch ein Riester sein?

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Flüchtlinge in Berlin: Sie wollen im Internet surfen, telefonieren und Geld überweisen. (Foto: Sean Gallup/Getty)

Gerade Finanzprodukte für Migranten sind zu schlecht reguliert, warnen Forscher. Manchen werden gar Riester-Verträge angeboten.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Das Mädchen aus Pappe hat kastanienbraune Augen und ein Milchzahnlächeln. "WAHNSINN!", steht auf dem Plakat darunter. Drei Gigabyte Highspeed-Internet für das Handy: "Nur 8 Euro". In der Einkaufsstraße in Berlin-Neukölln gibt als alle paar Meter ein Telefongeschäft, die Leute in der Nachbarschaft haben Familien in der Türkei oder im Nahen Osten. Unter die Plastikfolie des Werbeaufstellers hat dieser Händler deshalb noch ein Blatt Papier geklemmt: "Biz Türkçe konuşuyoruz", steht darauf. Wir sprechen Türkisch. Außerdem: Arabisch und Englisch.

Menschen mit Migrationshintergrund sind längst zu einer Zielgruppe für Unternehmen geworden. In diesem international geprägten Berliner Bezirk genauso wie im Internet. Forscher der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf haben jetzt für das bayerische Verbraucherschutzministerium untersucht, wie Geldinstitute und Telefonanbieter im Netz um türkische Migranten in Deutschland werben - und die Experten warnen: Ein Parallelmarkt scheine sich herauszubilden, der Gefahr liefe, "sich zu einem intransparenten, unregulierten Markt mit monopolistischen Strukturen zu entwickeln", steht in der Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Problematisch sind aus Sicht der Wissenschaftler etwa Webseiten der Finanzbranche, die Geldanlagen oder Kredite auf Türkisch bewerben, die Vertragsunterlagen aber dann nur auf Deutsch vorhalten. So preist etwa die Bausparkasse Mainz auf ihrer Webseite ihre Baufinanzierungen auf Türkisch an und schaltet Werbung bei türkischsprachigen Fernsehsendern. Verträge, sagt ein Sprecher, würden trotzdem nur in deutscher Sprache ausgefertigt. Ähnlich verhält es sich mit dem türkischsprachigen "Serviceangebot" der Mainzer Volksbank. Und auch die Deutsche Bank betreibt unter Bankamiz.de (zu Deutsch: "Unsere Bank") seit 2006 eine türkische Seite. In 65 Filialen seien zudem 90 türkischstämmige Bankberater eingesetzt. Sämtliche Produktinformationen seien zweisprachig, sagt eine Sprecherin. Bloß die Vertragssprache bleibe aus rechtlichen Gründen Deutsch. Die Bank könne dabei allerdings kein Problem erkennen: "Die deutschen Sprachkenntnisse unserer türkischstämmigen Kunden sind in der Regel ausreichend bis gut", heißt es dort.

Rechtsexperten aus Kreisen des Bundesjustizministeriums sehen das anders. Bei Verträgen von "erheblicher wirtschaftlicher Tragweite" - wie etwa einer Immobilienfinanzierung - könnten Kunden, die sich falsch beraten fühlen, mit genau diesem Argument Erfolg haben. Nach einem Verkaufsgespräch in einer Fremdsprache könnten Gerichte einen deutschen Vertrag für unwirksam erklären. Doch bei kleineren Geschäften existiert für zweisprachige Beratung und Werbung derzeit keine Regulierung. Schon gar nicht, wenn sich Banken mit Spezialangeboten an muslimische Kunden wenden.

Die KT Bank, eine deutsche Tochter der Istanbuler Kuveyt Türk Beteiligungsbank, hat sich auf "gesellschaftlich verantwortungsbewusste Kapitalanlagen im Wertekanon des Islam" spezialisiert. Da im Islam Zinsen verboten sind, bietet sie gläubigen Muslimen besondere Kreditkonstrukte an. So kauft die Bank etwa im Auftrag des Kunden ein Auto und verkauft es ihm "gegen einen angemessenen Gewinnaufschlag" weiter - in Raten. Die genauen Konditionen für solche Kredite ergäben sich im direkten Kundengespräch, erklärt die Bank auf Nachfrage. Üblich sei ein Gewinnaufschlag "ab 5,99 Prozent". Für die Wissenschaftler der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf fehlten muslimischen Bürgern durch eine solche Preispolitik die Vergleichsmöglichkeiten.

Ohnehin, sagt Forscherin Sandra Albertsen, sei es für Verbraucherschützer nicht leicht, Angebote, die sich gezielt an Migranten richten, zu überprüfen. Vor allem deutsche Mobilfunkanbieter würden gezielt Werbung auf türkischen Webseiten schalten. Gemeinsam mit Muttersprachlern, empfiehlt sie, sollten Verbraucherverbände gezielt nach unlauteren Angeboten suchen.

Verbraucherschützer sollten künftig mit Migrantenverbänden zusammenarbeiten und Sprachkenntnisse in den eigenen Organisationen aufbauen, sagt der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Gerd Billen (Grüne). "Man muss die Kompetenzen der Wirtschafts- und Verbraucherverbände stärken", sagt er. "Wir setzen uns dafür ein, die Integrationskurse zu nutzen, um auch Verbraucherthemen anzusprechen." Denn auch Flüchtlinge unterschrieben oft Verträge, die ihnen ungeahnte Kosten einbringen, sagt Dima Beseiso-Kamel vom Deutsch-Arabischen Zentrum Berlin. Einigen seien etwa bei der Kontoeröffnung Riesterverträge untergejubelt worden.

Auf der Neuköllner Einkaufsstraße geht Dima Beseiso-Kamel aber auch jeden Tag an Büros vorbei, die kontolose Geldüberweisungen ins Ausland anbieten. Die Firma Ria verlost bei jeder Sendung eine muslimische Pilgerreise, Western Union kooperiert mit einem Gemüsehändler. Auf der Angebotstafel stehen Eistee, Bananen und Geldtransfer. Die Gebühren, die bei solchen Überweisungen entstehen, seien sehr unterschiedlich, sagt Stephanie Heise von der Verbraucherzentrale NRW: "Es ist schwierig für Kunden, die Kosten im Vorfeld zu klären." Preise variierten stark zwischen Zielländern, Zahlungsweise und den einzelnen Anbietern.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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