Mehrwertsteuer:Brüssel will Milliardenbetrug stoppen

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Die EU-Kommission schlägt eine Reform der Mehrwertsteuer für das digitale Zeitalter vor. Die Konzerne sollen die Abgabe dort zahlen, wo sie ihre Dienstleistungen auch tatsächlich verkaufen.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Pierre Moscovici ersinnt nicht weniger als eine Revolution. An diesem Mittwoch will der EU-Wirtschaftskommissar seine Pläne für eine Reform der Mehrwertsteuer in Europa vorstellen. Im Entwurf des Vorschlags hat die Brüsseler Behörde die Gründe dafür aufgelistet. Das jetzige System könne "nicht mit der Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft mithalten". Jährlich entstehe in der Europäischen Union ein Schaden von 50 Milliarden Euro. Geld, das dem Fiskus wegen der gegenwärtigen Rechtslage entgeht. Diesen Milliardenbetrug will die Brüsseler Behörde nun stoppen.

Künftig soll ein einfaches Prinzip gelten: Unternehmen in der EU sollen die Mehrwertsteuer dort zahlen, wo sie ihre Dienstleistungen tatsächlich verkaufen. Bislang können Firmen den Fiskus austricksen, indem sie ihre Waren oder Dienstleistungen über mehrere Länder innerhalb der EU verschieben - und so überhaupt keine Mehrwertsteuer abführen. Steuerexperten sprechen von einem "Karussell-Betrug". Dabei führen Händler Ware mehrwertsteuerfrei aus dem Ausland ein und verkaufen diese dann mit Steuer weiter. Anstatt aber den Betrag an den Fiskus abzuführen,taucht der Betrüger mit der vom Kunden gezahlten Steuer unter. Diese oder ähnliche Arten von Schiebereien können mehrfach wiederholt werden - es kommt zum "Karussell". Die Betrüger nutzen dabei den Umstand aus, dass Lieferungen über die EU-Binnengrenzen umsatzsteuerfrei sind.

Genau das will die Europäische Kommission ändern. Im Grunde orientiert sich die Behörde an der Praxis, wie sie etwa Streaming-Anbieter wie Netflix oder iTunes von Apple bereits vormachen. Die Firmen erheben die Mehrwertsteuer nach Wohnort, also dort, wo der Kunde lebt. Diese Logik soll nun auf alle grenzüberschreitenden Online-Geschäfte angewendet werden.

Die EU-Finanzminister debattieren schon seit Jahren über eine entsprechende Reform. Auch die EU-Kommission dringt schon lange auf einen Systemwechsel. Doch bislang ohne Erfolg. Denn in der EU-Steuerpolitik herrscht das Einstimmigkeitsprinzip: Alle Mitgliedsstaaten müssen dem Vorhaben zustimmen - sonst ändert sich nichts.

Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold, fordert: "Die alte Tante Mehrwertsteuer muss endlich europäisch werden." Seit 1993 arbeiteten die Mitgliedstaaten im Grunde mit demselben veralteten System, das im digitalen Zeitalter noch nicht angekommen sei. Mangels wirksamer Kontrollen lade das System im europäischen Binnenmarkt zum Betrug ein. Allein in Deutschland seien im Jahr 2015 mehr als 22 Milliarden Euro Mehrwertsteuer am Fiskus vorbei gegangen. Mit diesem Geld könnte Deutschland dringend notwendige Investitionen und langfristiges Wachstum finanzieren, sagt der grüne Europaabgeordnete.

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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