Medikamente:Schluss mit der Preistreiberei bei Medikamenten

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Das Leid bestimmt den Preis: Gerade Medikamente für Schwerkranke sind oft extrem teuer. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Für Pharmakonzerne, Apotheker und Ärzte ist Deutschland ein Schlaraffenland. Und die Politik schaut zu. Ein neues Urteil könnte endlich etwas verändern.

Kommentar von Werner Bartens

Für alle, die mit Medikamenten zu tun haben, ist Deutschland ein Schlaraffenland - außer für Patienten. Ob Pharmafirmen, Apotheken oder Ärzte: Man muss sich schon dumm anstellen, um nicht von dem riesigen Markt zu profitieren. Fast nirgendwo auf der Welt sind die Preise für Arzneimittel so hoch wie in Deutschland. Die stärkste Nation Europas gilt sogar als Referenzmarkt für den übrigen Kontinent. An den hiesigen überteuerten Preisen orientieren sich die Firmen in anderen Ländern, um - mit ein bisschen Abschlag - ihre Margen festzusetzen.

Vor diesem Hintergrund ist das Geschrei einzuordnen, mit dem Lobbygruppen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Mittwoch begleiten. Die Richter haben die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente für nicht vereinbar mit EU-Recht erklärt, weil sie gegen den freien Warenverkehr verstößt. Der abgeschottete deutsche Markt soll durchlässiger und zugänglicher für ausländische Anbieter werden. Die Apotheker sehen ihr Geschäftsmodell gefährdet. Willkommen in der Wirklichkeit, möchte man ihnen zurufen. Was aber viel wichtiger ist: Die Entscheidung könnte sich zum Nutzen der Patienten auswirken, und nicht auf deren Kosten. Medikamente werden vermutlich günstiger, wenn die Pharmafestung Deutschland nicht mehr uneinnehmbar ist.

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Bislang waren rezeptpflichtige Medikamente überall in Deutschland gleich teuer. Das könnte sich nun ändern. Die Apotheker sind besorgt - und bekommen Hilfe aus der Politik.

Längst ist die Preisentwicklung für Medikamente außer Rand und Band geraten. Denn bevor die Preisbindung greift, wonach Apotheken den Arzneimitteln drei Prozent des Einkaufspreises zuschlagen, herrscht irrer Wildwuchs. Die Pharmafirmen bestimmen nach Gutdünken, wie teuer ein neues Mittel wird. Dies hat dazu geführt, dass etliche Medikamente gegen Krebs, Multiple Sklerose oder Hepatitis bis zu 100 000 Euro pro Patient und Behandlungszyklus kosten. Längst ist bekannt, dass diese Preisentwicklung dazu führen wird, dass Gesundheitssysteme kollabieren - oder manche Medikamente eben nur manchen Menschen zur Verfügung stehen. Hier droht Rationierung aufgrund ungezügelter Profitmaximierung.

Die Mondpreise sind weder durch Herstellung noch durch Forschung und Entwicklung gerechtfertigt. Die Produktionskosten für Medikamente sind meist lächerlich gering, und die Forschung findet zum Großteil in öffentlich finanzierten Universitäten und Instituten statt. Es gilt allein das Motto: Das Leid bestimmt den Preis. Ist das Leben bedroht, werden für Arzneimittel 80 000 Euro oder mehr verlangt.

Hier hätte die Politik längst einschreiten müssen, da die Exzesse der Gewinngestaltung die Solidargemeinschaft bedrohen und es absehbar ist, dass bei dieser Preistreiberei die gesundheitliche Versorgung der Menschen nicht mehr lange gewährleistet ist. Doch solange das Gesundheitsministerium als verlängerter Arm des Wirtschaftsministeriums fungiert, ist von der hiesigen Politik keine Entscheidung im Sinne der Patienten zu erwarten. Zu der kommt es allenfalls durch günstige Fügung von außen. Wie jetzt beim EuGH-Urteil.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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