Luftverkehr:Im Sturm

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Noch immer ein Zeichen für regen Flugverkehr: Kondensstreifen bei Sonnenaufgang über Frankfurt. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Terroranschläge und die Unsicherheiten in der Türkei setzen den europäischen Fluggesellschaften zu. Die Buchungen, vor allem aus Übersee, brechen ein.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Vor ein paar Wochen noch war Lufthansa-Konzernchef Carsten Spohr vorsichtig optimistisch. "Uns fehlen längerfristige Buchungen", gestand er bei einer Veranstaltung in Frankfurt ein, bei der er eine Zwischenbilanz seines Konzernumbaus ziehen wollte. "Aber es ist gar nicht so einfach zu sagen, ob das gut oder schlecht ist." Schließlich seien bei kurzfristigen Buchungen in der Regel die Preise viel höher, als bei Flügen, die schon Monate im Voraus festgemacht wurden.

Seit dieser Woche wissen Spohr, seine Mitarbeiter und die Anleger, dass die fehlenden Buchungen eine schlechte Nachricht waren. Am Mittwoch nach Börsenschluss war der Lufthansa-Chef dazu gezwungen, zum dritten Mal in seiner erst zweijährigen Amtszeit per ad-hoc-Mitteilung eine Gewinnwarnung zu veröffentlichen: Lufthansa wird im laufenden Jahr weniger Gewinn erzielen als 2015. Die Anleger fanden die Nachricht auch nicht erfreulich - die Aktie verlor deutlich an Wert. Mit ihrer Warnung liegt Lufthansa allerdings voll im Trend. "Aus unserer Sicht ist dies das schwierigste Umfeld für Fluggesellschaften in einer langen Zeit", sagte etwa die Chefin der Billigfluggesellschaft Easyjet, Carolyn McCall, am Donnerstag. Der Absturz eines Egyptair-Airbus, Terroranschläge in Paris, Brüssel, Nizza, Istanbul und Ankara, anhaltende Streiks der Fluglotsen in Frankreich, Großbritanniens Brexit-Entscheidung, Währungsschwankungen und nun auch noch der gescheiterte Militärputsch im bislang beliebten Urlaubsland Türkei - nicht nur, aber auch für das Geschäft der Fluggesellschaften sind das verheerende Entwicklungen.

Neben Lufthansa haben Easyjet und die British Airways-Muttergesellschaft International Airlines Group (IAG) nun vor niedrigeren Gewinnen gewarnt. Air France-KLM hatte schon im Mai auf "ein hohes Maß an Unsicherheit" hingewiesen, das auf die Preise drücke und Vorhersagen erschwere. In den kommenden Wochen dürften wohl noch andere Gesellschaften ihre Prognosen korrigieren, wenn sie mehr Durchblick haben auf die Buchungen der kommenden Monate. Die niedrigen Treibstoffpreise reichen nicht mehr aus, um die negativen Folgen auszugleichen.

Die Vorausbuchungen aus Asien und den USA haben deutlich nachgelassen

Lufthansa hatte bislang für 2016 einen berichtigten operativen Gewinn "leicht über" dem Vorjahresniveau von 1,8 Milliarden Euro prognostiziert. Nun geht das Unternehmen davon aus, dass das Ergebnis "unter" dem Gewinn von 2015 liegen wird. Der Hauptgrund: Die Vorausbuchungen vor allem auf den Langstrecken nach Europa haben "deutlich nachgelassen".

Anschläge wie der eines mutmaßlich von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) angestachelten Mannes, der in einem Regionalzug bei Würzburg mit einer Axt auf Touristen aus Hongkong losgegangen ist, dürften weitere Folgen haben: Mancher Urlauber aus Asien oder den USA wird sich zweimal überlegen, ob er in nächster Zeit nach Europa reisen will. Es sei "unwahrscheinlich, dass sich die Nachfrage nach Flügen erholt", so Liberium-Analyst Gerald Khoo.

Weniger Vorausbuchungen auf der Langstrecke schmerzen die Unternehmen besonders. Wegen der hohen operativen Kosten ist es hier viel teurer, leere Sitze durch die Luft zu fliegen, als etwa auf der Kurzstrecke von Frankfurt nach Hamburg. Die geringe Nachfrage drückt auch auf die Preise: Lufthansa rechnet, dass die durchschnittlichen Erlöse pro Passagier im zweiten Halbjahr um acht bis neun Prozent sinken werden - die Ticketpreise also deutlich fallen werden. Für Khoo ist das gar ein "furchtbarer" Rückgang. Die Prognose gilt für die Fluggesellschaften der sogenannten Passage Airline Gruppe, zu der neben Lufthansa selbst auch die Tochtergesellschaften Austrian, Swiss und Eurowings gehören. Der Lufthansa-Vorstand rechnet ebenfalls nicht mehr damit, dass die fehlenden Buchungen für die Langstrecken später noch einmal aufgeholt werden können, jedenfalls nicht mehr rechtzeitig, um das Ergebnis in diesem Jahr zu retten.

Wie schlecht das Geschäft der Lufthansa im zweiten Halbjahr voraussichtlich laufen wird, macht ein Blick auf die ersten sechs Monate deutlich: In der ersten Jahreshälfte haben die Airlines des Konzerns sogar noch ihren Gewinn von 249 auf 441 Millionen Euro steigern können, doch selbst das reicht nicht aus. Lufthansa fährt deshalb das geplante Kapazitätswachstum von knapp sechs Prozent auf 5,4 Prozent zurück. Auch andere haben bereits reagiert. Delta Air Lines wird die Kapazität insbesondere zwischen den USA und Großbritannien um vier Prozent reduzieren. Auch Virgin Atlantic, nach British Airways die zweitgrößte britische Langstreckenfluggesellschaft, will offenbar ähnliche Schritte beschließen. Die Probleme betreffen aber nicht nur die Langstrecke. "Währungsschwankungen als Folge des Entscheidung, die Europäische Union zu verlassen, sowie die jüngsten Ereignisse in Nizza und der Türkei beeinträchtigen weiterhin das Vertrauen der Kunden", so Easyjet-Chefin McCall. Es sei schwer vorauszusagen, wie sich die Nachfrage entwickeln werde.

Schon vor dem Putschversuch in der vergangenen Woche hatten die deutschen Fluggesellschaften ihre Kapazitäten in die Türkei um ein Drittel gesenkt. Doch die Eskalation der politischen Lage inklusive dem am Dienstagabend beschlossenen Ausnahmezustand dürfte für sie noch weit unangenehmere Folgen haben. Betroffen sind neben Lufthansa vor allem Air Berlin, Condor und Sun Express.

Die beiden großen türkischen Fluggesellschaften Turkish Airlines und der Billiganbieter Pegasus halten sich offiziell noch bedeckt. Doch Reiseeinschränkungen für Millionen von türkischen Staatsbediensteten alleine werden zu weiteren massiven Ausfällen führen. Beide Unternehmen sind börsennotiert und müssen die Öffentlichkeit über Änderungen bei der Gewinnprognose informieren, sobald sie sie selbst feststellen. Bislang halten beide noch an ihren Zielen fest, 2016 um jeweils 20 Prozent zu wachsen.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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