Luftfahrtbranche:Der Kampf ums Überleben fängt gerade erst an

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Es sind in der Corona-Pandemie bislang kaum Airlines pleitegegangen, weil Regierungen weltweit Hilfen in der Größenordnung von 300 Milliarden US-Dollar in den Sektor gepumpt haben. (Foto: imago images/CHROMORANGE)

Die Fluggesellschaften haben dank Staatshilfen die Pandemie bislang ohne große Pleitewelle überstanden. Doch sie starten mit hohen Schulden und müssen enorm investieren, um gesellschaftlich akzeptiert zu bleiben.

Kommentar von Jens Flottau

Als sich das Jahr 2020 dem Ende zuneigte, dachten viele in der Luftfahrtindustrie, das Schlimmste in der mit Abstand schlimmsten Branchenkrise aller Zeiten sei vorbei. Dieses Bremsmanöver von 100 auf null in kürzester Zeit, die vielen Rückschläge, die unvorhersehbaren Entscheidungen von Regierungen, die sich von Land zu Land oft diametral voneinander unterschieden, die neuen Virusvarianten. Die ersten Impfstoffe gegen das Coronavirus waren kurz davor, auch in Europa zugelassen zu werden, es sollte auch in der Luftfahrt der Weg zurück in die Zukunft werden.

Zum Start ins Jahr 2022 geht es den Fluggesellschaften schon irgendwie besser. Manche, vor allem in den USA, machen sogar schon wieder Gewinne, denn die Nachfrage ist trotz allem wieder auf oder über Vorkrisenniveau. Es sind kaum Airlines pleitegegangen, weil Regierungen weltweit Hilfen in der Größenordnung von 300 Milliarden US-Dollar in den Sektor gepumpt haben. In Europa lief der Sommer einigermaßen, der Herbst war gemessen an den Umständen sogar ganz erfreulich. Lufthansa konnte die Staatshilfen vorzeitig zurückzahlen, und es geht auch schon bald wieder in die nächste Auseinandersetzung mit den Piloten - so, als wäre nichts gewesen.

Doch die zwei Jahre Pandemie und ihre strukturellen und politischen Folgen werden die Luftfahrt über viele Jahre, wahrscheinlich für immer begleiten. Sie werden noch viele Konsequenzen haben, die heute noch nicht erkennbar sind. Damit ist übrigens nicht die Omikron-Variante gemeint, die jetzt bei Lufthansa und anderen die Buchungen von Mitte Januar an wieder hat einbrechen lassen. Auch diese neueste Volte werden die großen Airlines noch überstehen - mit oder ohne neue Staatshilfen. Ihnen stehen schon seit erstaunlich langer Zeit, seit mehr als einem Jahr, die Kapitalmärkte offen. Wer konnte, hat die Liquidität, so stark er konnte, erhöht für den Fall der Fälle.

Zwei strukturelle Veränderungen

Zwei strukturelle Veränderungen aber werden auf lange Sicht bleiben. Die erste ist finanzieller Art: Der Sektor ist mittlerweile enorm hoch verschuldet, und die Schulden müssen zurückgezahlt werden, irgendwie. Die Einnahmen liegen immer noch weit unter dem alten Niveau, die Kosten sind nicht stark gesunken. Gerade auf der Kostenseite wird es im Frühjahr, wenn die Kurzarbeit ausläuft, bei den Airlines und Flughäfen in Deutschland einen weiteren Schock geben: Der Staat zahlt keinen Teil der Gehälter mehr, und weiter Personal abbauen geht auch nicht, davon ist wahrscheinlich sowieso schon zu viel passiert. Man muss nur einmal am Gepäckband in Frankfurt beim Warten auf den Koffer die Minuten zählen oder in der Endloswarteschleife des Lufthansa-Callcenters.

Die hohe Verschuldung zwingt die Unternehmen dennoch dazu, wo es geht zu sparen. Sie zieht Geld ab aus Bereichen, in denen Investitionen dringend nötig wären. Bei Lufthansa ist es die vergleichsweise alte Flugzeugflotte, die noch schneller erneuert werden müsste. Oder Geld, das bei der offensichtlich nötigen Renovierung der IT sinnvoll angelegt wäre.

Fliegen und Umwelt

Das Spardiktat aber kollidiert mit der zweiten strukturellen Veränderung: Die Luftfahrt wird schon deshalb nicht mehr in den ersehnten Zustand des Jahres 2019 zurückkehren können, weil dieser politisch nicht mehr akzeptabel ist. Fliegen ja, aber viel umweltfreundlicher und nachhaltiger, nicht mehr Wachstum um jeden (Billig-)Preis. Hierbei geht es nicht nur um Investitionen in neue Flugzeuge und neue Technologien wie den Wasserstoffantrieb oder elektrische Regionalflugzeuge.

Die Europäische Union hat sehr konkrete Vorstellungen davon, mit welchen Regularien sie die Luftfahrt zu Veränderungen zwingen will. Unter anderem sind das verbindliche Quoten für nachhaltigen Treibstoff, der derzeit nur in nicht nennenswerten Mengen zur Verfügung steht und sehr teuer ist. Die Lufthansa hat ausgerechnet, dass im schlimmsten Fall für sie mehr als zwei Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten anfallen - jedes Jahr. Das ist mehr als der gesamte Gewinn in guten Jahren und das Doppelte eines normalen Jahresüberschusses.

Der Überlebenskampf der Luftfahrt ist also noch lange nicht zu Ende, er beginnt gerade erst. Denn sie muss sich ihre Existenzberechtigung in einer Welt, die auf Nachhaltigkeit Wert legt, trotz leerer Kassen neu verdienen.

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