Lobbyismus:"Dunkelkammer der Demokratie"

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Der Reichstag in Berlin. Lobbyisten gehen dort ein und aus. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

Die Organisation Lobbycontrol wirft der großen Koalition Versagen im Kampf gegen Einflussnahme vor.

Von Markus Balser, Berlin

Wenn wie vor ein paar Tagen die Rechenschaftsberichte der im Bundestag vertretenen Parteien veröffentlicht werden, kommt allerhand ans Licht. Beim grünen Kreisverband Rotenburg/Wümme ist die Bargeld-Kasse mit 57,50 Euro nicht mehr auffindbar. Der bayerische Linken-Landesverband hat 7,73 Euro Pfandgeld eingenommen. Bei anderen "Kleinigkeiten" müssen es die Parteien seit Jahren dagegen lange nicht so genau nehmen. Die Absender von Parteispenden bis zu 10 000 Euro etwa müssen keine Veröffentlichung fürchten. Auch woher genau Einnahmen aus dem für Parteien immer wichtigeren Sponsoring durch Unternehmen und Verbände kommen, wird nicht publik. Ganz gleich, ob Parteienfinanzierung, Lobbytransparenz, legislative Fußspur, Nebentätigkeiten und Interessenskonflikte von Abgeordneten: Nach Einschätzung der Nichtregierungsorganisation (NGO) Lobbycontrol verschleppt die Bundesregierung nötige Reformen im Kampf gegen ausufernde Einflussnahme von Unternehmen und Verbänden. Zwar habe Schwarz-Rot bei den Themen Abgeordnetenbestechung, Sperrzeiten für Regierungsmitglieder beim Wechsel in die Wirtschaft und der Transparenz von Nebeneinkünften nachgebessert. Allerdings fehle es den Reformen an Biss. Vor allem die Union habe weitreichendere Regelungen verhindert. So gebe es in Deutschland weiterhin kein verpflichtendes Lobbyregister oder ein Mindestmaß an Lobbytransparenz beim Gesetzgebungsprozess in den Ministerien.

Die NGO verweist auf jüngste Skandale wie den Milliardenbetrug zu Lasten der Steuerzahler mit Dividendenzahlungen (Cum/Ex), die mangelhafte Aufarbeitung des Dieselbetrugs bei Autoherstellern oder die "Rent-a-Sozi"-Affäre der SPD, bei der Treffen mit sozialdemokratischen Spitzenpolitikern von Firmen für Sponsorengeld gebucht werden konnten. Die politische Geschäftsführerin von Lobbycontrol, Imke Dierßen, sagte, die weitverbreitete Einschätzung, das freie Spiel der Lobbyisten diene dem Allgemeinwohl, sei ein gefährlicher Irrglaube. Besonders problematisch, so der Bericht, werde es, "wenn die Betroffenen sich die Gesetze praktisch selbst schreiben" könnten. Durch den Einfluss von Finanzlobbyisten auf sogenannte Cum-Ex-Geschäfte sei der öffentlichen Hand ein Milliardenschaden entstanden.

Vor Wahlen ist die Spendenfreudigkeit besonders hoch

Wenige Monate vor der Bundestagswahl lösen die Vorwürfe der Organisation vor allem bei der Parteienfinanzierung Wirbel aus. Die Organisation beschreibt das Finanzierungssystem als regelrechte "Dunkelkammer der Demokratie". Die Rechenschaftsberichte der Parteien, die Spenden über 10 000 Euro ausweisen, erschienen oft erst zwei Jahre nach Spendeneingang. Oft sei kaum noch kritisch zu hinterfragen, ob es einen unzulässigen Zusammenhang zwischen einer Spende und einer politischen Entscheidung gebe, heißt es in dem Bericht. Auch für indirekte Zuwendungen an Parteien in Form von Wahlkampfunterstützung durch Dritte gebe es keine Transparenzregeln. Die Geldgeber umfangreicher Wahlkampagnen könnten damit unerkannt bleiben. Ob verbotenerweise Geld aus dem Ausland in den deutschen Wahlkampf fließe, sei so kaum nachzuvollziehen. Die Spendenfreudigkeit ist vor Wahlen in der Regel deutlich größer als sonst. Doch wer den laufenden Wahlkampf finanziere, erfahre die Öffentlichkeit weitgehend erst in zwei Jahren, heißt es in dem 47-Seiten-Papier. Wegen der hohen Schwellen für Veröffentlichungspflichten blieben hierzulande ohnehin 75 Prozent der Spenden von Unternehmen und Wirtschaft anonym. Auch international war der Druck zuletzt gewachsen, diese Regeln in Deutschland zu verschärfen. Seit 2011 läuft ein Mahnverfahren der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats gegen Deutschland, das sich unter anderem auf mangelnde Transparenz bei der Parteienfinanzierung bezieht.

Aus der großen Koalition selbst kamen am Mittwoch kritische Stimmen. Der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow äußerte sich enttäuscht zur Bilanz der eigenen Koalition. "Den Bürgerinnen und Bürgern wird immer noch vermittelt, dass uns Politikern ihre Probleme im Zweifel nicht so wichtig sind und wir lieber auf einen Teil der Wirtschaftslobby hören. Ich finde das beschämend und peinlich", sagte Bülow.

Union und SPD hätten in den letzten vier Jahren die Chance gehabt, in Sachen Lobbykontrolle mit ihrer großen Mehrheit im Parlament einen großen Wurf zu landen. Doch es habe nur "kleine Schritte und nur wenig Verbesserungen" gegeben. Für Bülow sollte das Thema auch Auswirkungen auf eine mögliche Koalition nach der Wahl haben: "Wir dürfen auf keinen Fall noch mal eine Koalition eingehen, bei der es bei diesem Thema Stillstand gibt."

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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