Leipzig:Zig Hypes

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Die Stadt wollte über die Jahre vieles sein - nur bitte nicht egal. Die Synonyme, mit denen Leipzig sich gern selbst bezeichnet, erzählen viel über die Stadt.

Von Stephan Radomsky

"Heldenstadt", "Pleißemetropole", "Messestadt" - die Synonyme, mit denen Leipzig sich gern selbst bezeichnet, erzählen viel über die Psyche dieser Stadt. Sehnsucht nach Anerkennung schwingt da mit und der feste Glaube an die eigene Bedeutung, die von den anderen nur noch immer nicht erkannt wird. Küchenpsychologisch ließe sich feststellen: ein kleiner, kollektiver Minderwertigkeitskomplex.

Die Macht wohnte nie an der Pleiße, sondern an der Elbe

Dabei war Leipzig nach Berlin praktisch immer die Nummer zwei im Osten des Landes, allerdings nur, was die Anzahl der Einwohner angeht. Sicher, schon Ende 19. Jahrhunderts war Leipzig auch ein industrielles Zentrum, eine Stadt des Handels war es dank der traditionsreichen Messe bereits seit dem Mittelalter. Trotzdem: Die Macht wohnte nie an der Pleiße, sondern an der Elbe, im Mittelalter in Meißen und Wittenberg, später in Dresden, wo schließlich die sächsischen Könige residierten. Und nach der Wiedervereinigung nahm auch die neue Landesregierung dort ihren Sitz. Für die Leipziger war das ein schwerer Schlag, schließlich hatten sie mit den Friedensgebeten in der Nikolaikirche und den anschließenden Montagsdemonstrationen gewaltlos den Zusammenbruch der DDR mit eingeleitet. Hauptstadt wurden sie dennoch nicht.

Also mussten andere Projekte her, um das Selbstbewusstsein zu stärken, zumal Leipzig, wie viele andere Orte auch, schwer gebeutelt wurde vom radikalen Wandel nach der Wende. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Stadt schrumpfte, die eigene Bedeutung war längst nicht mehr so klar. Anfang der 2000er-Jahre wollte die Stadt deshalb am liebsten vieles zugleich sein: Finanzplatz des Ostens mit der Sachsen LB als globalem Spieler im Zentrum; Medien-Metropole, schließlich wurde hier im 17. Jahrhundert mit den Einkommenden Zeitungen das erste tägliche Nachrichtenblatt der Welt veröffentlicht. Außerdem war die Stadt einst Heimat vieler bedeutender Verlage wie Reclam, Kröner, Insel oder Brockhaus; und irgendwie sogar Olympia-Stadt, in der Bewerbung um die Spiele 2012 stach man national sogar Hamburg aus.

All die ambitionierten Pläne aber lösten sich schnell in Luft auf - genauso wie das investierte Geld und die Hoffnungen. Außer der Zentrale der Drei-Länder-Rundfunkanstalt MDR, einer feinen, aber doch kleinen Buchmesse und einem inzwischen weitgehend zugrunde gerichteten Journalistik-Studiengang an der Universität ist nicht viel übrig von der Medien-Metropole Leipzig. Die hochfliegenden Olympia-Pläne scheiterten ebenfalls schnell, die Stadt schaffte es nicht einmal in die engere internationale Auswahl. Was blieb, war ein großes und über Jahre leer stehendes Fußballstadion, das erst ein in Fußball-Deutschland unbeliebter Limonaden-Konzern Jahre später mit Leben füllen konnte. Und der Traum vom Finanzzentrum zerschellte zusammen mit der Sachsen LB 2007 an der US-Immobilienkrise, die hier endgültig zur deutschen Bankenkrise wurde.

Das heißt aber nicht, dass in Leipzig alles schiefgelaufen wäre. Inzwischen gibt es hier zwei große Auto-Fabriken, eine von BMW und eine von Prosche, sowie einen Flughafen. Industrie und Handel sind also wieder da. Und noch wichtiger für das Selbstbewusstsein: Schon 2006 lobte die New York Times, die Stadt habe "eine spektakuläre Wende geschafft", 2010 setzte das Blatt Leipzig auf Rang zehn der Orte weltweit, die man in diesem Jahr unbedingt besuchen müsse. Und auch anderswo wird Leipzig immer wieder als das neue, bessere Berlin gelobt.

"Hypezig" wird die Stadt deswegen inzwischen halb spöttisch genannt. Aber eben nur halb - Anerkennung schwingt auch mit.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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