Legalisierung von Marihuana:Das Joint-Venture

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Kalifornien stimmt ab: Soll Marihuana legalisiert werden? Wenn der Staat Cannabis-Handel erlaubt, könnte er mit Steuereinnahmen den maroden Haushalt sanieren. In Deutschland könnte ein solcher Schritt fast eine Milliarde Euro bringen.

Bastian Brinkmann

An der Straßenecke warten schon die Gestalten. Auf die jungen Touristen, die die Strandpromenade in Los Angeles hinunterspazieren und die so aussehen, als würden sie gerne mal was rauchen. Sie wollen ihnen einen Zettel verkaufen, eine Eintrittskarte in die Welt des Rauschs. Denn mit einem einfachen, vom Arzt ausgestellten Rezept darf jeder in Kalifornien Marihuana kaufen. Doch der Schwarzhandel mit den medical prescriptions ist bedroht: Anfang November könnte ein Volksentscheid in dem US-Bundesstaat Cannabis komplett legalisieren.

Marihuana-Legalisierung: Jeder Joint könnte Steuern einbringen. (Foto: dpa/dpaweb)

Während die Straßenhändler mit den gefälschten Rezepten ihr Geschäftsmodell überdenken müssen, spekulieren andere auf ein kleines Wirtschaftswunder. Eine milliardenschwere Cannabis-Industrie soll in Kalifornien aufblühen, wenn Produktion, Handel und Konsum legalisiert werden. Der Hauptgewinn würde an den Staat gehen: Eine neue Steuer auf Marihuana könnte 1,4 Milliarden Dollar bringen, sagen die Befürworter der Legalisierung. Und der Staat werde 200 Millionen Dollar einsparen, wenn er keine Haschisch-Raucher mehr verfolgen und einsperren müsste.

Der Bundesstaat braucht jeden Penny. Kaliforniens Governeur Arnold Schwarzenegger steht vor einem fast 20 Milliarden Dollar großen Haushaltsloch und weiß nicht mehr, wo er noch sparen soll. Da erscheint die Proposition 19 genannte Gesetzesvorlage als Steilvorlage: Kaliforniens Probleme könnten sich in Rauch auflösen.

Vor kurzem hat der US-Think-Tank Rand eine neue Studie vorgelegt. Die Kernaussage: Bei einer Legalisierung würde der Preis für Marihuana extrem fallen, wahrscheinlich um mehr als 80 Prozent. Der Schmarzmarkt, die vielen Zwischenhändler und Strafgelder für Dealer blähen den Preis auf.

Der Staat könnte somit eine saftige Steuer aufschlagen, ohne dass die Nachfrage einbricht oder wieder in den Untergrund wandert, sagen Ökonomen. Die Gesetzesinitative spricht von 50 Dollar pro Unze - das sind umgerechnet rund 1,30 Euro pro Gramm. Damit sollen 1,4 Milliarden Dollar reinkommen, hat das Board of Equalization berechnet. Die Behörde treibt in Kalifornien die Steuern für Alkohol, Tabak und Benzin ein.

Doch die Zahl ist umstritten. "Die Debatte ist kontrovers", sagt Philip Cook. Er analysiert an der Duke University in North Carolina die ökonomischen Folgen von Drogen, Kriminalität und Prohibition. Auch die Rand-Studie betont die große Unsicherheit, die allen Berechnungen zugrunde liegt. "Die möglichen Steuereinnahmen können dramatisch höher oder niedriger als 1,4 Milliarden Dollar ausfallen", schreiben die Forscher, denn die Kalkulation basiert auf vielen unsicheren Faktoren: Gibt es plötzlich eine viel höhere Nachfrage, wenn Cannabis nicht mehr rechtlich geächtet ist? Wie viel Geld soll der Staat in Aufklärung und Kontrolle stecken? Und welchen Einfluss haben die home grower, die ihre Drogen künftig ganz offiziell zu Hause anbauen dürfen? Erst wenn die Bürger der Proposition 19 zustimmen und das Gesetz Praxis geworden ist, werden den Forschern die tatsächlichen Daten vorliegen. "Kalifornien könnte eine große Feldstudie werden", sagt Cook.

Volkswirte für Legalisierung

Die kalifornischen Aktivisten haben viele Ökonomen auf ihrer Seite. Schon der Nobelpreisträger Milton Friedman sprach sich generell für eine Liberalisierung des Rauschs aus. "Drogenprohibition ist nichts anderes als eine staatliche Unterstützung für ein kriminelles Kartell", sagte der Ökonomieprofessor in den neunziger Jahren der Neuen Zürcher Zeitung. Was der Staat spart, wenn er alle Drogen, von Marihuana über Crack bis Heroin legalisiert, hat der libertäre Harvard-Professor Jeffry Miron berechnet und die Ergebnisse in einer Studie veröffentlicht. Die USA könnten rund 40 Milliarden Dollar weniger für Polizei und Justiz ausgeben und gleichzeitig fast 50 Milliarden an neuen Steuern einnehmen, sagt Miron.

Doch das geht selbst der kalifornischen Initiative zu weit. Sie setzen sich für eine strikte Altersgrenze ab 21 Jahren ein, die Steuereinnahmen möchten sie auch in Aufklärung und ins Gesundheitssystem leiten. Außerdem sollen die Kommunen entscheiden können, ob sie Coffee Shops in ihren Straßen überhaupt erlauben wollen oder nicht. Hier könnten sich unterschiedliche Modelle entwickeln.

Jenseits des Atlantik gibt es bereits etwas Erfahrung: In den Niederlanden haben die Coffee Shops mittlerweile seit 30 Jahren Tradition. Für das Amsterdamer Law Forum, ein Journal der Vrijen Universiteit, schreibt Martijn Boermans im Moment einen Artikel über die ökonomischen Aspekte der niederländischen Marihuana-Legalisierung, der Ende Oktober erscheinen wird.

Boermans sieht neben den Steuern einen weiteren Vorteil: Die Drogenmärkte hätten sich getrennt. "Wer auf dem Schwarzmarkt Marihuana kauft, kommt mit einem üblen Milieu in Berühung", sagt Boermans. Ein Dealer verkaufe nicht nur weiche, sondern oft auch harte Drogen. Dass die Niederlande den Cannabis-Konsum legalisierte, habe dazu geführt, dass der Konsum von harten Drogen zurückgehe.

Die Statistik der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen zeigt: Die Zahl der Drogentoten liegt in den Niederlanden deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Andererseits schlucken junge Holländer häufiger Halluzinogene und Ectasy als Jugendliche in Nachbarländern. "Nach unseren Daten hat sich nach der Cannabis-Legalisierung der harte Drogenkonsum wenig verändert", sagt eine Sprecherin der EU-Agentur. "Eine Legalisierung ist nur einer von vielen kulturellen Faktoren, die den Konsum beeinflussen." Die historischen Vergleichszahlen der Beobachtungsstelle reichen nur bis in die neunziger Jahre zurück.

Die Steuereinnahmen liegen laut niederländischem Finanzministerium bei 450 Millionen Euro pro Jahr. Dazu tragen auch die Touristen bei: Sie rauchen jeden zweiten Joint.

Deutschland würde fast eine Milliarde Euro einnehmen

Trotz solcher Argumente steht eine Marihuana-Legalisierung in Deutschland nicht zur Debatte. Dabei könnte ein offizieller Cannabis-Verkauf bis zu 900 Millionen Euro pro Jahr an Verbrauchsteuern bringen, wie Berechnungen von sueddeutsche.de zeigen ( die Daten finden Sie hier in einer Excel-Datei). Das wäre beispielsweise doppelt so viel wie die Sektsteuer. Was davon im Bundeshaushalt hängen bleiben würde, lässt sich aber kaum sagen. Denn es kämen neue Ausgaben für Kontrolle, Prävention und Gesundheit hinzu. Andererseits könnte der Gewinn auch höher ausfallen - dank der zusätzlichen Mehrwertsteuer und Einnahmen, die durch neue Arbeitsplätze in Coffee Shops dazukämen.

Das Finanzministerium hält eine Cannabis-Legalisierung für eine Schnapsidee. "Bei der Frage der Legalisierung von Marihuana geht es vor allem um gesundheitspolitische, drogenpolitische und strafrechtliche Aspekte, für die das Bundesfinanzministerium nicht zuständig ist", sagt ein Sprecher. "Steuerliche Aspekte spielen keine Rolle."

In Kalifornien dagegen haben sich in einer jüngsten Umfrage 52 Prozent der Befragten für die Legalisierung ausgesprochen, 41 waren dagegen. Das ist knapp. Viele Bürger befürchten, dass nach einer Legalisierung Kinder leichter an den Stoff kämen. Ob Marihuana erlaubt werden soll, bleibt für viele Wähler keine ökonomische, sondern eine moralische Frage.

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