Lebensversicherungen:Die Krise ist nicht vorbei

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Frank Grund von der deutschen Finanzaufsicht Bafin warnt, dass die Lebensversicherer noch lange unter Niedrigzinsen leiden werden.

Von Herbert Fromme und Friederike Krieger, Bonn

Für die deutschen Lebensversicherer bleibt die Lage weiter schwierig. "Die Versicherer können sich nicht entspannt zurücklehnen", sagte Frank Grund, oberster Versicherungsaufseher bei der Finanzaufsicht Bafin im Gespräch mit der SZ.

Die finanzielle Lage von Versicherern messen Aufsicht und Branche mit sogenannten Solvenzquoten - sie zeigen, ob eine Gesellschaft das erforderliche Kapital für ihre Geschäfte hat. Die deutschen Lebensversicherer sind stolz darauf, dass sie derzeit im Schnitt eine Solvenzquote von 491 Prozent aufweisen, also fast fünf Mal so viel wie absolut nötig. Das ist hoch im Vergleich zu anderen Ländern.

Doch Grund warnt, dass die Lage nicht bei allen Anbietern so gut bleiben wird. Der Grund sind die niedrigen Zinsen - und die Erwartung, dass sie lange niedrig bleiben werden, wie sich in der sogenannten Zinskurve zeigt. "Derzeit erleben wir den historisch niedrigsten Stand der Zinskurve, die für die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen in der Lebensversicherung maßgeblich ist", sagte Grund. Weil die Zinsen gesunken sind, müssen die Gesellschaften künftig mehr Geld zurücklegen, um auch langfristig den Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachkommen zu können. Die Solvenzquoten sinken.

Anfang August mussten die Versicherer Zahlen einreichen, wie sich die neue Zinssituation und damit die Zinskurve auf ihre finanzielle Lage auswirkt. "Wir werden uns sehr genau anschauen, ob dort Veränderungen festzustellen sind", sagte Grund. Er glaubt, dass sich bei einzelnen "merkliche Veränderungen einstellen können".

Auch die Zahl der Lebensversicherer, die unter intensivierter Aufsicht der Bafin stehen, könnte sich wieder erhöhen. Mit den Geschäftsleitungen dieser Unternehmen hält die Behörde engen Kontakt. Die Firmen müssen Pläne vorlegen, wie sie die Herausforderungen der Niedrigzinsphase meistern wollen. Im Herbst 2018 waren 34 Versicherer unter intensivierter Aufsicht, jetzt sind es noch 20. "Wenn es im August entsprechende Informationen geben sollte, dass wir deutliche Veränderungen sehen, kann es auch sein, dass die Zahl wieder nach oben geht", sagte Grund.

Einige Experten halten die hohen Solvenzquoten der meisten deutschen Lebensversicherer für das Ergebnis eines Fehlers im System. Das 2016 eingeführte EU-Aufsichtsregime Solvency II sieht aus ihrer Sicht zu viele Ausnahmeregelungen und zu lange Übergangsfristen vor - von denen die deutschen Gesellschaften über Gebühr profitieren.

Grund kann diesen Vorwurf nicht nachvollziehen. "Wir haben zwar in Deutschland anders als in anderen Märkten große Puffer", sagte er. "Wir haben aber auch den Bestand mit den am längsten laufenden Garantien, da braucht man auch Puffer." Er glaubt nicht, dass es bei der Überarbeitung der Aufsichtsregeln, die für 2020 ansteht, zu Verschärfungen für Lebensversicherer kommen wird. "Ich kenne keinen Aufseher in Europa, der die Übergangsmaßnahmen verändern will."

Frank Grund, Chef der Versicherungsaufsicht bei der Bafin. (Foto: Ute Grabowsky/dpa)

Grund hofft im Gegenteil, dass die Regeln so verändert werden, dass es für die Lebensversicherer wieder einfacher wird, langfristige Verpflichtungen einzugehen. "Wir wollen angemessene, sachgerechte Aufsichtsregeln für die Lebensversicherung." Momentan müssen sie viel zusätzliches Eigenkapital vorhalten, wenn sie Kunden über Jahrzehnte eine Garantieverzinsung zusagen. Deshalb schwenken immer mehr Anbieter zu garantiearmen Policen um und zu fondsgebundenen Versicherungen, bei denen der Kunde allein das Risiko von Kursverlusten trägt.

Gleichzeitig tritt Grund für eine Verschärfung der Regeln an anderer Stelle ein. Die Versicherer halten viele Kapitalanlagen in sogenannten Spezialfonds. Dahinter können sich alle möglichen Investments verbergen. Hier will Grund mehr Transparenz. Denn die Aufsicht kann nicht sehen, was in den Spezialfonds ist. "Wenn ich mit den Schultern zucken muss, weil ich nicht weiß, was in den Kapitalanlagen drin ist, ist das nicht glaubwürdig."

Sehr vorsichtig äußerte sich Grund zu der Debatte über eine Obergrenze für Provisionen in der Lebensversicherung. Ein Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums, der bisher noch nicht das Kabinett passiert hat, sieht vor, dass die Abschlusskosten auf 2,5 Prozent begrenzt werden sollen, bei nachgewiesen guter Beratungsqualität auf 4 Prozent. Grund glaubt, dass der Provisionsdeckel kommt. "Wir bereiten uns natürlich auch auf das Szenario vor, dass er nicht kommt." Denn in diesem Fall müsste die Bafin unter Umständen selbst aktiv werden, um Fehlanreize im Vertrieb zu vermeiden. In welcher Form das geschehen könnte, ließ Grund offen. Die Aufsicht behalte die Provisionspraxis weiter im Blick. "Wir werden uns in den nächsten Wochen bei den Unternehmen noch einmal genau darüber informieren, wie sich die derzeitige Provisionspraxis auswirkt."

Sorgen bereiten den Aufsehern derweil aber vor allem die Pensionskassen. "Die Pensionskassen sind von der Niedrigzinsphase besonders betroffen", sagte Grund. "Je länger sie andauert, desto größer werden die Herausforderungen." Deshalb drängt die Bafin die Trägerunternehmen, die Kassen zu stützen. Das funktioniert nicht immer. Anfangs standen bei der Bafin 45 Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht. Bei 14 hätten die betroffenen Arbeitgeber inzwischen Kapital nachgeschossen. "Es gibt aber noch 31 Fälle in abgestufter Form, wo wir uns entsprechende Sorgen machen." Eine einstellige Zahl an Pensionskassen, bei denen die Behörde nicht erst langfristig, sondern schon mittelfristig Schwierigkeiten erwartet, hat sie besonders im Blick.

© SZ vom 13.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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