Wer eine dieser unerträglichen Karrierebibeln liest, die Menschen trainieren und optimieren, damit sie möglichst stromlinienförmig durch die Arbeitswelt flutschen, findet dort ein Kapitel nach dem anderen über eine Frage, die noch nicht komplett durchoptimierte Menschen umtreibt: Wie erkläre ich meine "Lücke im Lebenslauf"?
Natürlich ist es nicht so, dass Menschen, die eine Lücke im Lebenslauf haben, während dieser Lücke nicht gelebt haben. Sie haben vielleicht ein Kind bekommen oder die alte Mutter gepflegt. Vielleicht waren sie krank, mit Covid-19 und Long Covid oder mit einer Depression oder sonst irgendetwas. Vielleicht haben sie mehrere Ausbildungen oder Studienfächer ausprobiert, Computer gespielt oder gelernt, die perfekte Bolognese zu kochen. Vielleicht haben sie ein Unternehmen gegründet und sind gescheitert oder haben versucht, das Klima zu retten, zu promovieren oder einen Roman zu schreiben, und sind nie fertig geworden. Oder sie wollten fremde Länder kennenlernen oder zu sich selbst finden im Schweigekloster. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.
Es ist nicht die primäre Aufgabe des Menschen, sich selbst zu einem besseren Arbeitnehmer zu machen
Was auch immer es war, das Menschen dazu bewogen oder gezwungen hat, dem Kapitalismus eine Zeit lang nicht zu dienen - es geht Arbeitgeber nichts an. Es mag Bewerberinnen und Bewerber geben, die gern Euphemismen erfinden, was sie in ihrer Elternzeit gemacht haben. Man denke an die alte Fernsehwerbung der Hausgerätefirma Vorwerk, in der eine Frau einem Krawattenträger dies hier sagt, um sich für ihr Dasein als Hausfrau und Mutter zu rechtfertigen: "Kurz gesagt, ich führe ein sehr erfolgreiches, kleines Familienunternehmen." In der Tat ist es so, dass viele der berüchtigten "Lücken im Lebenslauf" dabei helfen, Kompetenzen zu erwerben, die auch im Berufsleben helfen. Doch sie müssen es nicht. Es ist nicht die primäre Aufgabe des Menschen, sich selbst zu einem besseren Arbeitnehmer zu machen.
Wenn Bewerberinnen und Bewerber im Bewerbungsgespräch selbst ansprechen, was sie während der Auszeit gemacht haben, sollten Personaler offen und interessiert nachfragen und zuhören. Doch niemand sollte gezwungen werden, darüber zu sprechen. Die Frage nach der "Lücke im Lebenslauf" sollte verboten werden. Nicht per Gesetz, der Gesetzgeber muss nicht alles und jedes regeln, aber doch in internen Regelwerken, die sich Firmen selbst geben.
In Zeiten des Fachkräftemangels und in Zeiten, in denen sich die Arbeitswelt wandelt weg von strikten Hierarchien und hin zu mehr Flexibilität, sollten Personalabteilungen ihre Haltung in Vorstellungsgesprächen überdenken. Es sind die Unternehmen, die sich bemühen müssen. Im Grunde sind sie die Bewerber um die Gunst ihrer potenziellen neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das heißt auch, dass sie ein bisschen mehr Demut an den Tag legen und zukünftige Teammitglieder nicht unter Rechtfertigungsdruck setzen sollten. In einer Studie der Personalberater Staufenbiel-Institut und Kienbaum von 2017 gaben 46 Prozent der Unternehmen an, dass Lebenslauf-Lücken ohne Erklärung einen Bewerber auf jeden Fall disqualifizieren - was für ein Fehler!
Es würde Menschen entlasten, wenn sie wüssten, dass eine Lücke im Lebenslauf kein Makel ist. Denn es tut gut, sein Leben nicht nach den Anforderungen der Arbeitswelt durchzuplanen. Es kann besonders junge Menschen unter Stress setzen, wenn sie sich nie eine Pause gönnen dürfen, wenn nach der Schulzeit das Praktikum und danach das Studium und das Aufbaustudium im Ausland und das noch bessere Praktikum und das Trainee-Programm und so weiter folgen müssen - die jungen Erwachsenenjahre statt als Zeit des Ausprobieren als direkter Weg in den Burn-out. Menschen, die schon vor dem Jobantritt ausgebrannt sind vor lauter Selbstoptimierung, sind keine guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch wenn sie im Bewerbungsgespräch funkeln und glitzern.
Wer allzu lebenslaufoptimiert gelebt hat, ist sowieso vermutlich nicht fit für die wirklichen Herausforderungen des Lebens, auch des Berufslebens. Brüche führen dazu, dass Menschen mit Wandel besser umgehen können und an Komplexität gewinnen. Und wenn eines in der künftigen Arbeitswelt sicher ist, dann sind es der Wandel und die Komplexität.