Kommentar:Umstellen müssen sich alle

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

CDU und CSU haben Reformen in der Landwirtschaft verschleppt, für die neue Bundesregierung ist das eine schwere Bürde. Sie muss handeln, denn freundliche Appelle an die Vernunft bringen nichts.

Von Silvia Liebrich

Streuobstwiesen sind vom Aussterben bedroht. Forscher der Universität Hohenheim gehen davon aus, dass diese Rückzugsflächen für alte Obstsorten, Insekten, Vögel und andere Tiere in Baden-Württemberg bis 2050 verschwinden werden. In anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus. Sie zu bewirtschaften, kann mühsam sein, vielen Grundstückseignern fehlt dafür die Lust und die Zeit. Außerdem wächst der Siedlungsdruck. Ein anderer wesentlicher Grund sind Versäumnisse in der deutschen Agrarpolitik. Ausgerechnet das Volksbegehren zum Schutz der Bienen löste in Bayern vor zwei Jahren einen irrationalen Kahlschlag aus. Aus Angst, ihre Obstwiesen könnten unter Naturschutz gestellt und damit quasi enteignet werden, griff ein Teil der Bauern zur Motorsäge und fällte teils uralten Baumbestand. Nach dem Motto: Wo nichts steht, gibt es auch nichts zu schützen.

Die traditionellen Obstwiesen sind das Opfer einer fatalen Mischung aus Ignoranz und Mangel an Wertschätzung für eine nachhaltige Landwirtschaft, die sich über Jahrhunderte hinweg bewährt hat. Ihr Niedergang ist exemplarisch für die Versäumnisse einer Agrarpolitik, die mehr als 15 Jahre lang von CDU und CSU bestimmt wurde. Wichtige Reformen hat die Union in dieser Zeit systematisch verschleppt oder gar verhindert, egal, ob es nun um Klima-, Wasser-, Tier- oder Artenschutz geht. Sie schadete damit auch dem Bauernstand, mehr als ein Drittel der Höfe wurde in dieser Zeit aufgegeben - zu groß der ökonomische Druck, zu gering die Aussicht auf bessere Zeiten.

Das Erbe der Merkel-Ära bedeutet für die künftige rot-grün-gelbe Bundesregierung eine schweren Bürde, sie soll nun rasch und entschieden handeln und die Fehler der Vergangenheit ausmerzen. Die Erwartungen sind riesig, Interessengruppen machen von allen Seiten Druck. Tierschützer verlangen ein Ende der Massentierhaltung, Umweltschützer ein Verbot von Pestiziden, Klimaschützer CO₂-neutrale Anbaumethoden und Landwirte mehr Hilfen, um nur einige Punkte auf der langen Liste zu nennen. Klar ist auch, längst nicht alle Forderungen lassen sich erfüllen, schon gar nicht von jetzt auf gleich.

Tiefe Einschnitte - auch für Verbraucher

Die größte Herausforderung für die künftige Regierung besteht darin, die richtigen Prioritäten zu setzen. Wo diese liegen, sollte eigentlich allen klar sein. Seit Sonntag berät die Weltgemeinschaft im schottischen Glasgow darüber, wie die Pariser Klimaziele doch noch irgendwie erreicht werden können. Landwirtschaft und Ernährung spielen dabei eine entscheidende Rolle, gut ein Viertel der globalen Treibhausgasemissionen fällt in dem Bereich an, insbesondere in der Tierhaltung. Auch Deutschland kommt nicht umhin, die Zahl der gehaltenen Rinder und Schweine in Ställen deutlich zu senken, je schneller, desto besser.

Ein weiteres wichtiges Ziel ist, die Ernährung zu sichern, und zwar nicht, indem man alles Nötige aus allen Teilen der Welt herbeischaffen lässt, sondern durch einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad. Auch dies kann dazu beitragen, die Klimabilanz entscheidend zu verbessern. Das gesamte Ernährungssystem muss nachhaltiger werden.

All das bedeutet tiefe Einschnitte, nicht nur für landwirtschaftliche Betriebe, sondern auch für Verbraucher, die sich daran gewöhnen müssen, dass sich zum Beispiel Fleisch und Milcherzeugnisse verteuern, wenn deren wahre Kosten endlich eingepreist werden.

Es braucht, wo nötig, auch Verbote

Klar ist auch, mit freundlichen Appellen an die Vernunft von Produzenten und Konsumenten lässt sich der nötige Wandel nicht erreichen. Neben finanziellen Anreizen für ein nachhaltigeres Wirtschaften auf Äckern und in Ställen braucht es schärfere Gesetze, höhere Abgaben und, wo nötig, auch Verbote. Dabei darf die soziale Gerechtigkeit nicht auf der Strecke bleiben, Ernährung muss für alle bezahlbar bleiben - ein Minenfeld für die neue Bundesregierung.

Ein Weiter-so, wie in den vergangenen 15 Jahren, ist definitiv keine Alternative, sonst droht ein Kahlschlag wie jüngst auf den bayerischen Streuobstwiesen. Aufgabe der künftigen Bundesregierung wird es sein, Perspektiven für eine nachhaltige Landwirtschaft zu entwickeln und klare Ziele zu definieren, auch um den Produzenten Planungssicherheit zu geben. Allen Seiten wird das viel abverlangen, Reformen sind konfliktbeladen, mühsam und oft auch schmerzhaft. Doch sie können am Ende auch befreiend sein.

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