Der Mann ist sauer. "Seit dem 19. Juni versuche ich, von Ihnen eine Antwort zu erhalten. Zur Klärung einer Zahlung habe ich bereits drei E-Mails geschrieben." So beginnt die Nachricht eines Kunden, nichts Ungewöhnliches bei einem Versicherer. Die Frage ist: Erkennen die Schlagwortprogramme und Mitarbeiter zuverlässig, dass es ein Problem gibt und ein Kunde vor der Kündigung steht?
Die Versicherungskammer Bayern (VKB) will den Ärger ihrer Kunden jetzt besser erkennen. Zusammen mit IBM und der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München hat das Unternehmen Tausende Schreiben von IBM-Supercomputer Watson analysieren lassen. Das Ziel: Die Software soll "Unmutsäußerungen in Kundenschreiben erkennen und in verschiedene Kategorien sortieren", sagt VKB-Managerin Isabella Martorell Naßl.
Herauskommen soll eine passgenaue Antwort. Schließlich will der Mann eine Lösung seines Problems und kein vertröstendes Standardschreiben.
Mehr als sieben Millionen Kundenbriefe und Mails erhält der Münchener Versicherer jährlich. Schon bisher werden sie per Computer analysiert, der die Post nach Schlagworten untersucht. Doch den Zusammenhang der Wörter erkennt das Programm nicht. Dann arbeiten Angestellte manuell nach, um die Schreiben an den richtigen Ansprechpartner zu leiten, der sie dann beantwortet.
Versicherungsangestellte und Sprachwissenschaftler haben Watson die Unmutsäußerungen beigebracht. Dann durfte das Programm selbsttätig analysieren. Mit dem Ergebnis starteten die Trainer eine neue Runde mit Instruktionen. Inzwischen kann Watson sogar Ironie erkennen. "Wenn ein Kunde schreibt, 'vielen Dank für die schnelle Schadenbearbeitung', und sich im nächsten Satz beschwert, dann erkennt das Programm das und reagiert entsprechend."
Watson ordnet die Sätze in den Schreiben in drei Kategorien ein: Auslöser, Unmutsäußerung und Forderung. Auslöser: Niemand hat sich gemeldet. Unmutsäußerung: Der Kunde stellt fest, dass er keine Reaktion erhalten hat, schreibt: "Ich bin sauer." Die Forderung: "Ich bitte Sie nochmals, meinen Sachverhalt zu prüfen und sich mit mir in Verbindung zu setzen."
Die VKB hat getestet, wie gut sich Watson im Vergleich zu Menschen schlägt, die Unterlagen von Hand sortieren. Das habe die Maschine "sehr überzeugend" gewonnen, sagt Martorell Naßl. Jetzt geht die VKB den nächsten Schritt und nutzt Watson im Alltag. Arbeitsplätze soll das nicht kosten, nur Anpassungen werde es geben.
Mit Watson will IBM die künstliche Intelligenz in den Alltag bringen. Das Programm analysiert ganz normale Sprache und reagiert entsprechend. Der Name bezieht sich auf Thomas Watson, den ersten IBM-Chef . 2011 machte Watson Schlagzeilen, als der Computer die US-Quizshow "Jeopardy" gewann. Inzwischen ist das Programm sehr viel weiter und wird im Gesundheitswesen, im Einzelhandel, bei der Analyse sozialer Netze und in vielen anderen Wirtschaftsbereichen eingesetzt, darunter Banken und Versicherungen. Sie erhoffen sich eine zielgenauere Kundenansprache und auch Kostensenkungen.
Bayerische Besonderheiten hat das Programm inzwischen auch drauf, sagt Martorell Naßl. "Mit der doppelten Verneinung hat Watson überhaupt keine Probleme."