Krisenstrategie:IWF entschuldigt sich ein bisschen bei Griechenland

Lesezeit: 3 min

Athen: Der 40-jährige Yiorgos musste 2010 seinen Lebensmittelladen schließen - seitdem ist er obdachlos. (Foto: REUTERS)

Haben die Milliardenkredite des Internationalen Währungsfonds Griechenland geholfen? Der Fonds zieht eine selbstkritische Bilanz - und sieht aber auch Schuld in Athen. Die EU-Kommission will von der Kritik des IWF jedoch nichts hören.

Von Nikolaus Piper, New York

Noch nie hat ein Land, im Verhältnis zu seiner Größe, so viel Geld vom Internationalen Währungsfonds (IWF) bekommen, wie Griechenland: 47 Milliarden Dollar. Und: Noch nie hat der Fonds die Grenzen seines Auftrages so sehr gedehnt. So schwer die Krise in Griechenland auch sein mag, Griechenland ist immer noch Teil der Europäischen Währungsunion, einem der reichsten Wirtschaftsblöcke der Welt. Und Athen leidet auch nicht unter einer Währungskrise; das Land ist dem Euro beigetreten, der seit Ausbruch der Krise vergleichsweise stabil ist.

Eigentlich wäre der IWF also gar nicht zuständig gewesen.

Trotzdem wurde im Mai 2010 das Hilfsprogramm zusammen mit der EU beschlossen. Erstens weil die Europäer immer noch ein Machtfaktor im IWF sind und zweitens weil alle Beteiligten, vermutlich zu Recht, fürchteten, ein Staatsbankrott Griechenlands könnte die fragile Weltwirtschaft in eine neue, schwere Rezession stürzen.

Und das Ergebnis?v

Griechenland hat drei Jahre nach Start des Engagements von IWF, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) eine Wirtschaftskrise wie Deutschland am Ende der Weimarer Republik: Die Wirtschaft schrumpft mit einer Jahresrate von -6,4 Prozent, mehr als ein Viertel (genau 26,8 Prozent) der arbeitsfähigen Bevölkerung ist ohne Beschäftigung, fast zwei Drittel (64 Prozent) der Jugendlichen sind ohne Job. Angesichts solcher Zahlen ist es zwingend, dass alle Beteiligten Bilanz ziehen. War diese Wirtschaftskatastrophe wirklich notwendig, um die Schuldenkrise einzudämmen? Was ist schief gelaufen? Welche Korrekturen sind notwendig?

"IWF gibt Fehler zu" - zugespitzt, aber nicht ganz falsch

Mit der Selbstkritik begonnen hat nun der IWF, vermutlich nicht ganz freiwillig. Zwei Berichte des Fonds, die eigentlich erst an diesem Donnerstag hätten veröffentlicht werden sollten, wurden vorab einigen Medien zugespielt . Die Artikel erschienen rund um den Globus unter der Schlagzeile: "IWF gibt Fehler zu." Das ist zugespitzt (die Selbstkritik des Fonds ist nur für Fachleute erkennbar), aber auch nicht ganz falsch. Auf jeden Fall hat jetzt eine längst überfällige Diskussion über Fehler und Erfolge der Rettungsmaßnahmen begonnen.

Der Chef der Griechenland-Mission des IWF, Poul Thomsen, stellte sich in einer Telefonkonferenz den Journalisten und räumte dabei ein, dass die Experten des Fonds anfangs von zu optimistische Annahmen ausgegangen wären. Schuld daran seien allerdings vor allem "die begrenzten administrativen Kapazitäten Griechenlands. Ein Fehler sei gewesen, dass man zulange geglaubt habe, Athen komme ohne einen Schuldenschnitt aus. Als dann 2011 klargeworden sei, dass die Last für Athen untragbar werden würde, habe es ein Jahr lang gedauert, bis man die privaten Gläubiger zu einem Forderungsverzicht gezwungen habe. "Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das schon früher passiert wäre", sagte Thomsen. Dies galt den Europäern, die so lange brauchten, sich auf eine Strategie zu verständigen.

Entsprechend ist es vor allem die EU-Kommission, die sich von Kritik und Selbstkritik des IWF distanzierte. Die Kommission sei "mit einigen Schlussfolgerungen nicht einverstanden", ließ EU-Währungskommissar Olli Rehn ausrichten. Besonders wehrt er sich gegen die Aussage des IWF, die Griechenland-Retter hätten früher die Schulden des Landes reduzieren müssen. Der Fonds ignoriere, "dass die Euro-Staaten untereinander verbunden sind". Es habe ein systemisches Ansteckungsrisiko bestanden.

Die Regierung in Athen dagegen begrüßte die Aussagen des IWF. Finanzminister Ioannis Stournaras sagte, der Bericht gebe "allen die Chance, Fehler zu erkennen, damit sie nicht wiederholt werden".

Der IWF seinerseits sieht auch klare Erfolge des Hilfsprogramms. "Eine umfassende Konsolidierung des Haushalts wurde erreicht und das Rentensystem auf eine solide Grundlage gestellt", heißt es in dem entsprechenden Bericht. Außerdem sei Griechenland in der Euro-Zone geblieben, was dem erklärten politischen Willen des Landes entsprochen habe. Schließlich sei die Übertragung der Krise von Griechenland auf andere Länder "relativ eingedämmt" worden. Dem stehen klare Misserfolge gegenüber: "Das Vertrauen der Finanzmärkte wurde nicht wieder hergestellt. Das Bankensystem verlor 30 Prozent seiner Einlagen und die Wirtschaft geriet in eine Rezession, die viel schlimmer war als erwartet, mit einer außerordentlich hohen Arbeitslosigkeit." Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands sei zwar gestiegen, weil die Löhne so stark sanken, die Strukturreformen seien kaum vorangekommen, und ob die Produktivität der Unternehmen wirklich gestiegen sei, könne man kaum sagen.

Hier liegt der Kern von Kritik und Selbstkritik des IWF: Ja, der Fonds war 2010 zu optimistisch, aber das hat vor allem damit zu tun, dass Athen reformunwilliger war als erwartet. Die Regierung hat zwar gespart, aber sie hat zu wenig getan, um Märkte zu öffnen, mehr Wettbewerb zuzulassen oder Interessengruppen anzugehen. In jüngster Zeit habe sich vieles gebessert, die wichtigste Reform stehe in Athen jedoch noch bevor: Reiche Griechen dazu zu bringen, in angemessenem Umfang Steuern zu zahlen. IWF und Regierung hatten vereinbart, die Athener Steuerbehörde zu einer teilunabhängigen Institution zu machen, um sie gegen politischen Druck zu schützen. Doch gerade hier ist Athen, so der IWF, besonders zögerlich.

Und was das Thema Selbstkritik betrifft: Der Fonds kommt zu dem Schluss, dass er aufgrund dessen, was man heute weiß, mit weniger optimistischen Annahmen an die Griechenland-Rettung hätte herangehen müssen. An keiner Stelle jedoch sagt er: Wir hätten es von Anfang an besser wissen müssen. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass sich seine Krisenpolitik nach der Erfahrung mit Griechenland wesentlich ändern wird.

© SZ vom 07.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: