Krise bei Arcandor:"Eine zweite Familie"

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Sie demonstrieren, sie protestieren, sie halten Mahnwache: Die Mitarbeiter von Karstadt kämpfen für die Rettung ihres Arbeitgebers

Sibylle Haas

Es ist zwölf Uhr am Montagmittag, Hans-Jürgen Gladasch wirkt angespannt. Der Leiter der Karstadt-Filiale am Bahnhofsplatz in München sorgt sich wegen des Lenkungsausschusses der Bundesregierung, der am Montag über eine Staatsbürgschaft für Arcandor entschieden hat. Gladasch hat eine kleine Besprechung mit seiner Mitarbeiterin Sandra Mitbrod in seinem Büro im fünften Stock der Filiale ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Da reicht ihm seine Sekretärin Sevda Monteiro ein Blatt Papier herein, eine Nachricht der Firma: Der Lenkungsausschuss hat den Antrag von Arcandor auf die Staatsbürgschaft abgelehnt.

Angst vor dem Aus: Sandra Mitbrod und ihr Chef Hans-Jürgen Gladasch in der Karstadt-Filiale am Münchner Bahnhofsplatz (Foto: Foto: Catherina Hess)

"Das wird nicht leichter", sagt Gladasch mit Tränen in den Augen. Er schaut Sandra Mitbrod an und zieht die Augenbrauen hoch. Dieser Blick ist sorgenvoll und traurig. Der 58-Jährige arbeitet seit 42 Jahren bei Karstadt. Jetzt muss er mitansehen, wie das Unternehmen ums Überleben ringt. Am Montagabend lehnt der Bund auch die Rettungsbeihilfe für Arcandor ab, wegen des mangelnden Engagements der Eigentümer.

Am Sonntag gab es noch Hoffnung

Gladasch hat bei Karstadt als Lehrling begonnen und sich zum Einzelhandelskaufmann ausbilden lassen. Seine Warenhaus-Karriere war klassisch. Der Lüneburger ist quer durch Deutschland gezogen und hat in vielen Karstadt-Häusern gearbeitet. Seit sechs Jahren ist er nun in München am Bahnhofsplatz und verantwortlich für etwa 900 Mitarbeiter. "Unser Karstadt-Haus ist so groß wie ein mittelständisches Unternehmen", betont er, so als wolle er damit sagen, dass man Firmen dieser Größe nicht kaputt gehen lässt.

Am Sonntag noch waren sie hoffnungsfroher. Die Mitarbeiter, die Mahnwache halten, bauen auf die Hilfe der Bundesregierung. Am Bahnhofsplatz haben sie sich versammelt, vor der umsatzstärksten Filiale Deutschlands.

Gut 600 Beschäftigte sind gekommen und trotz des schönen Wetters auch viele Kunden. Sie demonstrieren dafür, dass Karstadt nicht stirbt und die Mutter Arcandor Geld vom Staat bekommt. Allein in der Filiale am Bahnhofsplatz haben sich in den letzten Tagen 30000 Männer und Frauen in Unterschriftenlisten zur Rettung von Karstadt eingetragen.

"Alles wäre dunkel und tot"

"Wir kämpfen gemeinsam für Karstadt" ist auf einem großen Plakat zu lesen, das am Sonntag an einer Schaufensterscheibe klebt. Dort, wo normalerweise die bunte Warenwelt glitzert, sind schwarze Tücher angebracht. "So würde es aussehen, wenn Karstadt nicht mehr hier wäre", sagt Hans-Jürgen Gladasch. "Alles dunkel, es wäre tot hier".

Gladasch hat sich in die Reihen seiner Mitarbeiter gestellt, um mit ihnen zu protestieren, dass der Warenhauskonzern überlebt. Am Montag weiß Gladasch, dass die Mahnwachen zunächst wenig genutzt haben - und dass das Bangen um die Arbeitsplätze weitergeht. Nicht nur in München, sondern in der ganzen Republik, überall, wo Karstadt-Filialen stehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Arcandor-Vorstandschef Karl-Gerhard Eick um den Fortbestand des Unternehmens kämpft

Am Konzernsitz in Essen schwört Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick am Montagmittag die Belegschaft nach der Absage der Staatsbürgschaft darauf ein, um jeden Job zu kämpfen.

Eick steht auf einer roten Leiter vor der Konzern-Zentrale und hält eine emotionale Rede per Megafon. Die Absage aus Berlin bedeute keineswegs die Insolvenz, ruft der Manager, der auf Anzug und Krawatte verzichtet hat, den Mitarbeitern zu. Der seit März amtierende Arcandor-Chef dankt der Belegschaft für ihre "großartige Unterstützung".

Mehrere hundert Beschäftigte, die im Halbkreis um das Tor vor dem Zentralgebäude stehen, feuern Eick mit lautem Applaus an. Der Firmenchef klatscht demonstrativ mit ihnen. "Wir kämpfen bis zur letzten Minute", ruft Eick. "Es geht um 56.000 Arbeitsplätze", "Das Warenhaus lebt" und "Wir sind ein Stück Deutschland", steht auf Plakaten, welche die Mitarbeiter schwenken.

Sie sind stolz auf die größte Wäscheabteilung Europas

Auch die 25-jährige Sandra Mitbrod in München will sich nicht so schnell unterkriegen lassen. "Ich bin optimistisch", sagt sie mit demonstrativer Stärke. Die junge Frau versteinert ihr Gesicht, man soll nicht merken, wie sehr sie das Ganze belastet. Dann sagt sie leise: "Es ist nervenzerrend. Ich kann nicht mehr richtig schlafen".

Sandra Mitbrod ist seit neun Jahren bei Karstadt. Auch sie ist dabei, eine klassische Warenhaus-Karriere hinzulegen. Gelernt hat sie in Wismar, in dem Haus, das 1881 von Rudolf Karstadt als "Manufactur-, Confections- und Tuchgeschäft" eröffnet wurde. Nach drei Jahren war die gebürtige Zittauerin Einzelhandelskauffrau und entschied, sich zur Abteilungsleiterin weiterbilden zu lassen.

Heute hat sie ein Stück dieses Weges hinter sich. Seit März 2009 ist Sandra Mitbrod in München und arbeitet als Assistentin der Abteilungsleiterin in der "größten Wäscheabteilung Europas", wie sie stolz betont. Mitbrod ist Führungskraft und deshalb schläft sie derzeit schlecht. "Ich bin für 40 Menschen in unserer Abteilung zuständig. Da hängen Familien und Schicksale dran", erklärt sie.

Über ein Leben ohne Karstadt mag sie nicht nachdenken. "Ich würde auch woanders eine gute Stelle bekommen. Aber ein Wechsel würde mir schwer fallen", sagt sie. Karstadt sei wie eine zweite Familie: "Und für meine Familie würde ich alles tun". Seit einiger Zeit macht sie das bereits, indem sie auf ihre übertarifliche Zulage verzichtet. Sandra Mitbrod würde sich noch öfter auf den Bahnhofsplatz stellen, um für Karstadt zu demonstrieren. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass das etwas bringt, ist am Montag geringer geworden.

© SZ vom 09.06.2009/as/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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