Kraftwerks-Geschäft:Bei Siemens geht es jetzt um alles

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Ist die Zeit der großen Kraftwerke vorbei oder kommt das Geschäft wieder? Dafür interessieren sich auch die Mitarbeiter von Siemens in Erfurt. (Foto: AP/Jens Meyer)
  • Siemens-Chef Joe Kaeser sucht händeringend nach einer Lösung für seine kriselnde Kraftwerkssparte.
  • Die Zukunft der Gasturbinen könnte in China oder Japan liegen. Schon bei einer Aufsichtsratssitzung am kommenden Dienstag könnte eine Entscheidung fallen.
  • Am liebsten wäre es der Arbeitnehmerseite, Siemens würde das Geschäft behalten.

Von Thomas Fromm

Wer wollte, konnte die letzten Nachrichten durchaus als kleine Hoffnungsschimmer für die kriselnde Kraftwerkssparte von Siemens verstehen. Im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro bekam Siemens vor ein paar Wochen den Zuschlag für den Bau eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks. Vor einigen Tagen dann folgte eine Vereinbarung im Irak über mögliche Milliardenaufträge für den Wiederaufbau der Stromversorgung in der kriegsversehrten Region. Immerhin: Es geht um Chancen und Projekte im Wert von 12,5 Milliarden Euro - und das zu einer Zeit, in der in der Kraftwerkssparte über den Abbau von weltweit rund 6000 Stellen gesprochen wird; 2900 davon allein in Deutschland.

Die einen, allen voran die Gewerkschaftsvertreter, sagen: Ruhe bewahren, das Geschäft mit großen Gasturbinen kommt schon irgendwann wieder. Der Vorstand sagt: Nein, die Turbinen kommen nie wieder zurück. Nicht in dieser Zeit, in der die Energieversorgung weg von Atom- und Kohlekraftwerken in Richtung erneuerbarer Energien wie Wind und Sonne und von Großkraftwerken hin zu dezentraler Energieerzeugung geht. Gleichzeitig sind aber noch zu viele Anbieter mit zu vielen Gasturbinen am Markt.

Was also tun mit dem alten Industriegeschäft? Behalten oder abgeben?

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Hinter den Kulissen ringen Vorstand und Arbeitnehmer in diesen Tagen heftig um die Zukunft des Krisengeschäfts. Nach SZ-Informationen könnte schon bei einer Aufsichtsratssitzung an diesem Dienstag eine Entscheidung zur Zukunft der Kraftwerkssparte fallen. Am Mittwoch dann empfängt Siemens-Chef Joe Kaeser Investoren und Analysten zum "Kapitalmarkttag" in der Münchner Konzernzentrale. Und am liebsten, heißt es aus Aufsichtsratskreisen, würde er den Besuchern dann gleich auch Neuigkeiten zur Zukunft der Kraftwerkssparte mit auf den Weg geben. Denn der Druck der Investoren steigt: Im vergangenen Geschäftsjahr ist der Umsatz der Sparte um 14 Prozent auf 12,4 Milliarden Euro eingebrochen; der Gewinn schrumpfte um drei Viertel auf 377 Millionen Euro. Das schlägt auf die Gesamtbilanz, die wiederum schlägt auf den Aktienkurs. Und Investoren mögen es gar nicht, wenn ihnen schlechte Geschäftszahlen den Aktienkurs verhageln.

Zur Diskussion stehen mehrere Optionen. So wird eine enge Zusammenarbeit mit dem japanischen Konkurrenten Mitsubishi Heavy geprüft; schon seit einiger Zeit soll man die Chancen für ein Gemeinschaftsunternehmen ausloten. Alternativ könnte auch eine chinesische Lösung stehen: Schon 2018 hatte Siemens eine Zusammenarbeit bei großen Gasturbinen mit der staatlichen State Power Investment Corp (SPIC) vereinbart. Ende März wurde schließlich ein "strategisches Partnerschaftsabkommen" unterzeichnet. Der Beginn eines neuen deutsch-chinesischen Kraftwerk-Joint-Ventures?

Es geht um die Frage, wie viel Macht Siemens in einem Joint Venture noch hätte

Beide Lösungen wären ganz nach dem Geschmack des Siemens-Chefs. Kaeser, der den Konzern komplett in einen Digitalkonzern umbaut, hat bereits sein Windenergiegeschäft in das deutsch-spanische Unternehmen Siemens Gamesa gegeben; die Zugsparte wollte er mit dem französischen Konkurrenten Alstom zusammenlegen. Eine Strategie, die von der EU-Wettbewerbskommission allerdings durchkreuzt wurde. Die Zugsparte könnte nun wie schon die Medizintechniktochter Healthineers an die Börse gebracht werden. Siemens werde "am Ende eine Art Holding werden", sagt Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Holding, das ist eines dieser Reizwörter, mit denen die Arbeitnehmerseite bei Siemens nur wenig anfangen kann. "Wir sind gegen ein weiteres Auseinanderpflücken des Unternehmens", heißt es dort.

Ohnehin gibt es eine rote Linie: Wenn das Kraftwerksgeschäft schon unbedingt in einem Gemeinschaftsunternehmen mit Chinesen oder Japanern aufgehen soll, dann sollte Siemens nach Meinung der Arbeitnehmervertreter mehr als einen Minderheitsanteil halten. Es geht um die Frage, wie viel Macht Siemens in einem solchen Joint Venture dann noch hat und welche Rolle die Arbeitnehmer künftig überhaupt noch spielen werden. Es geht um Macht, Einfluss und Mitbestimmung - und das Risiko, dass all das nach Japan oder China abfließt. Am liebsten wäre es der Arbeitnehmerseite ohnehin, Siemens würde das Geschäft behalten. So wie Werner Fembacher vom Verein der Belegschaftsaktionäre, der "Renditewahn" und "mangelnde Vision" in der Zentrale moniert. Siemens-Chef Kaeser aber will eine schnelle Lösung und sucht die Unterstützung seiner Investoren. Die hat er derzeit. "Der Umbau funktioniert", sagt Daniela Bergdolt. "Meiner Meinung nach geht Kaeser in die richtige Richtung."

Der Siemens-Chef steht wie schon so oft zwischen Aktionären und Arbeitnehmervertretern. Die nächste Woche dürfte für ihn, nun: interessant werden.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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