Korruptionsaffäre bei Siemens:"Wie ein Kind zu Weihnachten"

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Erstmals spricht Aufsichtsratschef Gerhard Cromme über den Führungswechsel, den Umbau des Konzerns und mögliche Milliardenstrafe.

Karl-Heinz Büschemann, Markus Balser und Klaus Ott

Als Gerhard Cromme am 25. April plötzlich ohne einen Vorstandsvorsitzenden für Siemens da stand, setzte sich der neue Aufsichtsratschef hin und schrieb auf einem Wunschzettel auf, was der neue Mann mitbringen muss. Cromme fühlte sich ein wenig ,,wie ein Kind zu Weihnachten''.

Gerhard Cromme (Foto: Foto: Catherina Hess)

Eine gewisse Affinität zu Siemens-Produkten sollte der Neue haben und um die 50 Jahre alt sein. Er sollte sich auf der ganzen Welt zuhause fühlen, aber aus dem deutschen Kulturraum stammen. Zudem sollte der ideale Kandidat Erfahrungen im Umgang mit den amerikanischen Börsen- und Justizbehörden haben und die Finanzmärkte überzeugen.

Damals dachte der Aufsichtsratsvorsitzende: So einen Kandidaten gibt es nicht. Vier Wochen später sagt der ehemalige Chef von Thyssen-Krupp, dass er diesen Mann gefunden hat: Peter Löscher. Der 49jährige Österreicher ist der erste Siemens-Chef, der nicht aus dem Unternehmen stammt.

Er arbeitet noch für den amerikanischen Pharma-Konzern Merck, ist dort die Nummer zwei und war zuvor beim wichtigsten Rivalen von Siemens, dem US-Konzern General Electric. Als Cromme mit ihm Kontakt aufnahm, zunächst über einen Mittelsmann, dann direkt, musste Löscher nicht lange überlegen - und Cromme auch nicht.

Treffen am Flughafen

Erstmals spricht Cromme in der Süddeutschen Zeitung nun über die Krise bei Siemens, die Suche nach dem Chef und den Umbau des Unternehmens.Löscher erfüllt nach seiner Ansicht alle Kriterien, die auf dem Wunschzettel standen. Der oberste Siemens-Aufseher hat daher auch kein Verständnis für Kritiker, die behaupten, der Neue sei eine Nummer zu klein. ,,Das kann nur einer sagen, der Löscher nicht kennt'', sagt Cromme, ,,Löscher ist auf Integration und Teamgeist bedacht.''

Die Suche nach dem neuen Siemens-Chef begann allerdings mit einem Fiasko. Cromme und sein wichtigster Mitstreiter im Aufsichtsrat, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, hatten versucht, Linde-Chef Wolfgang Reitzle zu Siemens zu lotsen. Doch nur vier Tage, nachdem die drei in einem Berliner Hotel darüber beraten hatten, stand die Sache in der Zeitung.

Cromme war blamiert, Reitzle zauderte und sagte schließlich ab. Da half ein Zufall. Ein gemeinsamer Freund von Cromme und Siemens-Aufsichtsrat Walter Kröll meldete sich. Er kenne einen, der womöglich passe: Der Mann heiße Löscher und sei in Diensten von Merck. Das war am 1. Mai. ,,Seitdem war Löscher mein Wunschkandidat'', sagt Cromme.

Cromme rief Löscher sofort in New Jersey an. Am folgenden Wochenende trafen sich die beiden am Frankfurter Flughafen. ,,Da war sofort ein großer gegenseitiger Respekt'', sagt Cromme. Die Headhunter von Spencer Stuart, die auch eingeschaltet waren, hatten zehn Kandidaten auf ihrer Liste, Löscher war nicht dabei - doch die Personalexperten räumten ein: Löscher war besser. Cromme blieb bei seinem Favoriten.

Und sagte nichts. Erst am Freitag voriger Woche weihte er die beiden anderen Mitglieder des dreiköpfigen Präsidiums ein, Ackermann und den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Ralf Heckmann. Zu Gesicht bekamen sie den Neuen am Samstag, bei einem Abendessen im Hotel Vier Jahreszeiten in München. Am Sonntag präsentierte Löscher sich dem Aufsichtsrat - und wurde ohne Gegenstimme zum neuen Siemens-Chef gekürt.

Löschers Karriere ist nach Ansicht von Cromme wie gemacht für Siemens: ,,Der hat sich als erstes Nicht-GE-Gewächs im Vorstand von General Electric Respekt verschafft. Das ist eine Leistung.'' Dass Löscher sich als Spezialist für Neuorganisation profilierte, gilt ebenfalls als Pluspunkt.

Denn für den Aufsichtsratschef steht fest: Der größte Konzernumbau in der 160-jährigen Siemens-Geschichte, den Kleinfeld mit Wucht vorangetrieben hat, ist längst nicht abgeschlossen. So würden sich auch fast alle anderen deutschen Unternehmen auf weniger Geschäftsfelder konzentrieren. ,,Auch Siemens ist auf diesem Weg. Und den werden wir mit Sicherheit weitergehen'', sagt Cromme.

Denkbar ist, dass sich der Konzern von weiteren Geschäftsfeldern trennt. ,,Es besteht Einigkeit im Vorstand über das, was Kerngeschäft ist, und auch darüber, dass es Randaktivitäten geben wird, die nicht unbedingt auf Dauer zu Siemens gehören müssen'', sagt Cromme. ,,Löschers Aufgabe ist es, diese Überlegungen zu schärfen.'' Der Konzern als Ganzes soll aber, anders als manche Börsianer spekulieren, nicht in seine Einzelteile zerlegt werden. ,,Siemens wird nicht zerschlagen. Wir treten im Aufsichtsrat dafür ein, die Zukunft des Konzerns zu sichern.''

"Ein junges Quartett"

Cromme deutet an, dass auch die Konzernspitze vom Umbau nicht verschont wird. ,,Im Vorstand müssen Leute am Tisch sitzen, die klare Verantwortung tragen. Es kann sein, dass der Vorstand kleiner wird, es kann sein, dass er so bleibt, wie er ist. Es gibt ein junges Quartett so um die 50, das die Zukunft entscheidend mitgestalten wird: Konzernchef Peter Löscher, Finanzchef Joe Kaeser, Technologievorstand Hermann Requardt und der neue Europa- und künftige Personalchef Heinrich Hiesinger. Die müssen das langfristig machen. Dann wird es altersbedingt Veränderungen geben. Da werden Wechsel stattfinden'', sagt Cromme. ,,Wir müssen künftig auch mehr gute Leute von außen holen. Herr Löscher muss sehen, wo es Spitzenmanager gibt, die zu Siemens passen.''

Die Holding des Konzerns dürfte zudem ein neues Gesicht bekommen. In den nächsten sechs Monaten werde der Vorstand einen Vorschlag unterbreiten, wie sich das Verhältnis zwischen den operativen Bereichen und Regionen, der Holding und den funktionalen Einheiten, etwa der Konzernforschung, verändern lasse, kündigt Cromme an. Ziel sei eine dezentrale Organisation, die einzelnen Unternehmensbereiche sollten jedoch stark miteinander verzahnt bleiben. ,,Denn Siemens muss mehr wert sein als seine Einzelteile.'' Ein solcher Konzern ließe sich nur dezentral führen. Wichtige Einheiten wie die Finanzverwaltung und die Anti-Korruptionseinheit Compliance müssten aber weiter aus der Zentrale gesteuert werden.

Löscher wird sich zudem darum kümmern müssen, die Folgen der Schmiergeld-Affäre zu bewältigen. Der Aufsichtsratschef erwartet harte Reaktionen der US-Börsenaufsicht SEC auf die weltweiten Korruptionsdelikte des Konzerns. ,,Es wird eine beachtliche Strafe auf Siemens zukommen.'' Mit einer hohen Geldbuße sei zu rechnen, schlimmstenfalls könnten Sanktionen dazu kommen, etwa der Ausschluss von bestimmten Aufträgen in den USA. ,,Wir tun alles, um Sanktionen zu vermeiden. Wir werden durch ein besonders korrektes Verhalten beweisen, dass wir zu neuen Ufern aufbrechen.'' Einzelne Aufsichtsräte befürchten, die zu erwartende Geldbuße könne mehr als eine Milliarde Euro betragen. Auf solche Spekulationen will sich Cromme nicht einlassen. Die Strafe werde sich danach bemessen, wie konsequent Siemens die Verstöße aufkläre. ,,Wir dürfen keine Fehler machen.''

Cromme räumt ein, dass es im Konzern wohl noch Leute gebe, die etwas zu verbergen hätten und deshalb neue Chefs wie den künftigen Vorstandschef Löscher ablehnten, die von außen kämen. ,,Manche Leute wollen keine externen, unbestechlichen Manager, die aufräumen.'' Davon lasse man sich nicht aufhalten. Bis das ganze Ausmaß des Skandals erfasst sei, könne es wohl noch ein Jahr dauern. ,,Man weiß nicht, was noch alles hochkommt.''

Mit fragwürdigen Geschäften bei Siemens Schluss sein, sagt Cromme. Das treffe auch für Länder zu, die als besonders anfällig für Korruption gelten. ,,Die Devise ist klar: Siemens wird nur noch vollkommen legal agieren.'' Auch in ,,kritischen Märkten'' seien saubere Geschäfte möglich, glaubt der Aufsichtsratschef.

Cromme selber will sich im Juli, wenn Löscher den Vorstandsvorsitz übernimmt, wieder in den Hintergrund zurück ziehen. Auch auf eine liebe Gewohnheit wird der Mann aus Essen, der zuletzt mehrere Tage pro Woche in München verbracht hat, dann häufiger verzichten: ,,Ich trinke gerne ein Weißbier'', sagt der Westfale, ,,besonders bei schönem Wetter im Freien''.

© SZ vom 26.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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