Korruption:Die Siemens-Affäre - eine Bilanz

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Drei Jahre nach Bekanntwerden der Korruptionsaffäre steht Siemens deutlich besser da: befreit von alten Lasten und Seilschaften.

Ulrich Schäfer

Sie haben sich verfolgt gefühlt, umstellt, gejagt. Sie hatten den Eindruck, dass alle sich gegen sie verschworen haben: die Staatsanwälte, die Ermittler der Polizei, die Steuerfahnder und Journalisten. Als vor drei Jahren, im November 2006, die Siemens-Affäre ihren Anfang nahm, wähnten sich die damaligen Oberen des Weltkonzerns umringt von Feinden. Sie wollten nicht wahrhaben (oder einräumen), dass ihr Unternehmen unterhöhlt war durch ein System schwarzer Kassen, dunkler Verbindungen und illegaler Geschäfte. Nicht wenige bei Siemens empörten sich, man wolle das Unternehmen kaputtmachen.

Siemens - erst schwarze Kassen, dann eine gründliche Selbstreinigung. (Foto: Foto: ddp)

Siemens ist nicht kaputtgegangen. Und es hatte auch niemand, der Licht in diese düstere Affäre bringen wollte, die Absicht, Siemens kaputtzumachen. Es ging schlicht um Aufklärung. Es ging darum, einen Skandal zu entschlüsseln, der zunächst klein zu sein schien und bald immer monströser wurde. Ermittler und Journalisten konnten nicht glauben, was sie alles vorfanden: ein dichtes Netz aus schwarzen Kassen in nahezu allen Steueroasen der Welt; eine Buchhaltung, in der wichtige Zahlungsbelege mit kleinen gelben Post-it-Zetteln frisiert wurden; ein Netzwerk aus Dunkelmännern, Ja-Sagern und Wegguckern. Darüber saß ein Vorstand, der manches wusste und noch mehr hätte wissen können, wenn er seinen Pflichten nachgekommen wäre.

Doch niemand fragte nach, als der oberste Korruptionsbekämpfer des Unternehmens kritische Berichte vorlegte. Niemand wollte Genaueres wissen, als die ersten Erkenntnisse über Schmiergelder bis in den Vorstand und in den Aufsichtsrat gelangten. Dass sich viele Einzelfälle zu einem ganz großen Fall zusammenfügten, dass es nicht bloß um einige wenige Verfehlungen ging sondern um ein ganzes Bestechungssystem - davon wollten die Oberen nichts wissen.

Ein symbolischer Ausgleich

Drei Jahre später ist von diesem Vorstand nichts mehr übrig, die Führungsmannschaft wurde nahezu komplett ausgetauscht. Doch Siemens ist keineswegs untergegangen. Der Konzern wurde nicht zerlegt von der amerikanischen Börsenaufsicht. Wurde nicht geschluckt von General Electric oder einem anderen Rivalen. Drei Jahre später steht Siemens in vielerlei Hinsicht besser da: befreit von alten Lasten, befreit von alten Seilschaften, befreit von Unternehmensteilen, die nicht mehr dazu passen.

Auch mit Heinrich von Pierer, dem Mann, der fast 15 Jahre an der Spitze von Siemens stand, die meiste Zeit als Vorstandsvorsitzender und anschließend als Aufsichtsratschef, hat sich das Unternehmen nun geeinigt. Rund fünf Millionen Euro zahlt Pierer, um einen Schaden wiedergutzumachen, der weitaus größer ist. Entstanden ist dieser Schaden durch Geschäfte, die größtenteils während seiner Amtszeit getätigt wurden - und durch die Aufklärung der Praktiken danach. Etwa zwei Milliarden Euro hat die Affäre Siemens bislang gekostet, inklusive aller Straf- und Steuernachzahlungen, inklusive aller Anwälte. Pierers Zahlung ist mithin ein eher symbolischer Schadenausgleich. Dennoch setzt sie einen vorläufigen Schlussstrich unter diese Affäre.

Korruption ist nun geächtet

Der ehemalige Konzernlenker hat, so kann es Siemens sehen, dadurch seine Schuld eingestanden. Er hat, so kann es Pierer sehen, sich einen jahrelangen Prozess erspart und noch mehr Demütigungen. Wie kein anderer hatte er sich gegen einen solchen Ablasshandel gesperrt. Pierer sah sich, und dies kann man menschlich verstehen, erniedrigt von einem Unternehmen, für das er so viel gegeben hat. Er sah sich herausgedrängt von Leuten wie Gerhard Cromme, seinem Nachfolger als Aufsichtsratschef. Und doch war es richtig, dass das Unternehmen eine klare Trennung vollzogen hat - andernfalls wäre es die Vergangenheit nicht los geworden.

Pierer ist im April 2007 als Chef des Aufsichtsrats zurückgetreten, nachdem anderen Aufsichtsräte und die US-Börsenaufsicht SEC den Druck auf ihn erhöht hatten. Er bestritt seither immer wieder, dass er zu nachlässig kontrolliert oder gar von schwarzen Kassen gewusst habe. Auch jetzt hat Pierer sich nicht dazu durchgerungen, ein Verhalten, das er für "angemessen" hielt, im Nachhinein als "nicht angemessen" zu bezeichnen.

Angemessen waren dagegen die Konsequenzen, die die neuen Herren von Siemens aus der Affäre gezogen haben, also Cromme, Konzernchef Peter Löscher und ihre Getreuen. Sie haben das Unternehmen bis in den letzten Winkel durchleuchten lassen, sie haben die Compliance-Abteilung, wie die Anti-Korruptionstruppe heißt, kräftig aufgestockt und die klare Regel ausgegeben, dass jegliche Bestechungen verboten sind. Dies ist, über Siemens hinaus, eine der wichtigsten Lehren aus dieser Affäre: Deutsche Konzerne dulden nicht mehr, was früher üblich war: die kleine oder große Zahlung nebenbei. Die Härte, mit der der Nutzfahrzeugbauer MAN seine Schmiergeld-Affäre aufklärt, zeigt dies. Korruption gilt heutzutage vielleicht nicht als ausgerottet, wohl aber als weithin geächtet.

Der Ruf von Siemens hat durch diese Affäre gelitten, aber er wurde nicht auf Dauer zerstört. Es war richtig, die Verfehlungen mit Macht aufzuklären und sie nicht zu vertuschen. Nur so ist eine Selbstreinigung möglich. Und auch Pierer sollte daran denken, dass Menschen, die in Deutschland wegen schwarzer Kassen büßen mussten, wieder auf die öffentliche Bühne zurückkehren können - entsprechende Buße vorausgesetzt. Einer davon ist Otto Graf Lambsdorf, jetzt Ehrenvorsitzender der FDP. Ein anderer ist Wolfgang Schäuble, jetzt Bundesfinanzminister.

© SZ vom 05./06.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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