Kommentar:Bittet Grundbesitzer zur Kasse

Mehr Sozialwohnungen zu bauen, ist richtig und wichtig. Ein Allheilmittel gegen die Wohnungsnot ist es aber nicht. Dafür gibt es effektivere Methoden.

Kommentar von Thomas Öchsner

Die Wohnungsnot ist in Deutschland die soziale Frage schlechthin. Ob Sanitäter, Erzieherin oder Postbote - zahlreiche Durchschnittsverdiener können sich die rasant steigenden Mietpreise in den Städten nicht mehr leisten. Etwa jeder Sechste gibt bereits mehr als 40 Prozent des Haushaltsbudgets fürs Wohnen aus. Diese Menschen gelten offiziell als "durch Wohnkosten überlastet". Umso ärgerlicher ist die jetzt bekannt gewordene Zahl, bei der sich nicht wenige Wähler die Frage stellen dürften: Geht's noch? Die Zahl der Sozialwohnungen ist im vergangenen Jahr weiter auf etwa 1,2 Millionen Wohnungen gesunken.

Es geht um ein politisches Versagen mit Ansage: Nach dem Zweiten Weltkrieg half der Staat noch beim Wiederaufbau, Millionen Sozialwohnungen entstanden in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Doch seit Jahrzehnten geht die Zahl der Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen zurück. Das liegt daran, dass Länder und Kommunen nur noch wenige Sozialwohnungen gebaut haben und die Sozialbindung nach 15 oder 20 Jahren ausläuft.

Verschärft wurde das Problem durch den Ausverkauf von staatlichen Wohnungsbeständen an Investoren, die vor allem ihre Rendite maximieren wollen, auch auf Kosten der Mieter. Hinzu kommt ein schwerer Fehler im System: Die Länder, seit 2006 zuständig für den sozialen Wohnungsbau, haben dafür vom Bund Milliarden kassiert. Aber das Geld konnten sie auch für etwas anderes ausgeben. Es ist deshalb sicherlich richtig, wenn der Bund künftig Hilfen für den sozialen Wohnungsbau nur noch zweckgebunden auszahlt. Wer nun allerdings glaubt, der soziale Wohnungsbau sei ein Allheilmittel, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, unterliegt einem Irrglauben.

Selbst wenn Geld unbegrenzt fließen würde, dauert es viele Jahre, bis größere Wohneinheiten mit Mietbindung aus dem Boden gestampft sind. In den Behörden sitzen nach diversen Sparrunden zu wenig Fachleute, die solche Projekte schnell auf den Weg bringen können. Und vor allem in den Städten, in denen die Mieten besonders stark gestiegen sind, fehlt preisgünstiges Bauland. Deshalb muss der Fiskus über eine Bodensteuer Grundbesitzer so empfindlich zur Kasse bitten, dass es sich für sie nicht mehr lohnt, Bauland - in der Hoffnung auf weiter rasant steigenden Bodenpreise - zurückzuhalten. Bund und Länder müssen ihre Grundstücke an Kommunen unterhalb des realen Werts verkaufen, damit es mehr Bauland für preisgünstige Wohnungen gibt. Außerdem muss man in Städten, in denen der Boden ein so begrenztes Gut ist, klug nachverdichten. Warum sollen zum Beispiel auf Einkaufszentren keine Wohnungen entstehen?

Kein Politiker oder Mieterschützer sollte jedoch so tun, als ob sich mit einem nationalen Programm für mehr Sozialwohnungen das Thema Wohnungsnot schnell lösen ließe. Auch wenn die Koalition zukünftig mehr Geld für solche Wohnungen ausgeben will, die Milliarden reichen niemals, um auf die 80 000 neuen Sozialwohnungen jährlich zu kommen, die der Deutsche Mieterbund für nötig hält.

Sozialbauten haben ein Imageproblem

Auch darf man mögliche negative Folgen des Sozialwohnungsbau nicht unterschätzen. Sozialbauten haben ein Imageproblem. Wer neue errichten will, muss darauf achten, dass keine neuen seelenlosen Betonburgen und Ghettosiedlungen für Geringverdiener entstehen, die an die Bausünden der Vergangenheit erinnern.

Es gibt das Problem der Fehlbelegung. In den Städten dürften ein Drittel der Sozialmieter in ihrer Wohnung gar nicht sein, weil ihr Einkommen inzwischen über den knapp bemessenen Verdienstgrenzen liegt. Die Vergabe von Sozialwohnungen kommt einer Förderlotterie gleich, wenn man bedenkt, dass in Städten wie Berlin theoretisch die Hälfte der Bevölkerung wegen ihres geringen Einkommens Anspruch auf eine Sozialwohnung hätte.

Wer, wie einige Städte, von Bauträgern und Wohnungsbauunternehmen verlangt, in einer neuen Anlage eine bestimmte Quote von günstigen Wohnungen bereitzuhalten, muss auch wissen, wie solche Investoren ticken. Keiner verzichtet gern freiwillig auf Mieteinnahmen, also vermieten oder verkaufen sie zum Ausgleich in der neuen Anlage andere Wohnungen umso teurer. Die Durchschnittsverdiener gehen so wieder leer aus. Die teurere Wohnung können sie sich nicht leisten, in die billigere kommen sie nicht rein, weil sie dafür zu viel verdienen. Soll die öffentliche Hand trotzdem mehr Sozialwohnungen bauen? Ja, unbedingt! Nur sollte man davon nicht ein wundersames, schnelles Ende der Wohnungsnot erwarten.

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