Kommentar:Herrenwahl

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Weibliche Führungskräfte braucht es überall - auch im Mittelstand und in jeder Sparkassenfiliale.

Von Helena Ott

Der Fortschritt ist eine Schnecke. Von 2015 bis 2021 hat sich der Frauenanteil in Aufsichtsräten bei 263 großen Unternehmen auf 36 Prozent erhöht. Sechs Jahre hat es gedauert, bis elf Prozent mehr Frauen in die Aufsichtsräte aufgerückt sind. Nun hat die Bundesregierung nachgelegt: In dieser Woche ist das neue Führungspositionen-Gesetz in Kraft getreten. Es betrifft nun nicht mehr nur die Aufsichtsräte, sondern die Vorstände. Börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen müssen künftig mindestens eine Frau in ihren Vorstand berufen, wenn der aus mehr als drei Personen besteht.

Doch was bringt die Vorständin an der Spitze der Bahn oder der Telekom schon den ganz normalen Frauen, die - wie die meisten Männer ja auch - nicht kurz davor stehen, einen großen Konzern zu leiten? Erst wenn außerhalb börsennotierter Konzerne gleichwertig im Management gearbeitet wird, profitieren auch Frauen außerhalb dieser Großunternehmen, für die Vorständinnen nun Pflicht geworden sind.

Klar: Auch Chefinnen in den Milliardenkonzernen können über die eigene Firma hinaus Rollenvorbilder sein. Und lebender Beweis, dass verantwortungsvolle Posten in Deutschland nicht Männern vorbehalten bleiben. Sie könnten zeigen, dass es noch alternative Führungsstile zu dem Oberhaupt gibt, durch dessen Hände alle Entscheidungen gehen.

Aber die meisten Frauen kennen Daniela Gerd tom Markotten nicht persönlich, sie ist seit Juni Vorständin bei der Bahn. Oder Birgit Bohle, Vorständin bei der Telekom. Weitaus wirkmächtiger sind Vorbildfiguren aus dem eigenen Umfeld. Menschen, die man sonntags beim Brötchenholen treffen könnte, und diejenigen, die auch über die eigene Karriere mitentscheiden. Aber wo ist es selbstverständlich, dass der Chefposten des mittelständischen Industriewerks mit einer Frau besetzt ist? Dass die örtlichen Stadtwerke von einer Frau geführt werden, dass sich das Vorstandsbüro der örtlichen Sparkasse ein Jochen und eine Kerstin teilen? Ein gleiche Chance auf Führungspositionen und genügend weibliche Mitbestimmung sind längst nicht in der Fläche angekommen.

Das zeigen die Sparkassen. Auf Deutschland verteilt beschäftigen die Institute 911 Vorstandsmitglieder. Würden sie sich zu einer Vollversammlung treffen, würden nur 53 Frauen den Saal betreten. Der Rest: Männer in Anzug und Krawatte, hat eine Beraterfirma nachgezählt. Bei einem solchen Treffen würden mehr Männer mit "Thomas" auf dem Namensschild auftauchen als weibliche Vorstandskolleginnen.

Im deutschen Mittelstand sieht es nur geringfügig besser aus. Dort liegt der Frauenanteil in Führungsgremien bei 13 Prozent. Die Unternehmen setzten viel Geld um, tragen Verantwortung für das soziale Leben. Im wichtigen Mittelstand liegt Potenzial.

Die gesellschaftliche Debatte über die Zahl der Chefinnen konzentriert zu sehr auf die großen Konzerne. Aber erst wenn Gleichberechtigung überall ankommt, macht sie für die Masse einen Unterschied. Selbst in Vorständen öffentlicher Unternehmen liegt der Frauenanteil derzeit bei nicht mal einem Viertel.

Würden Chefinnen und Chefs künftig auch ihre Abteilungs- und Teamleiterstellen paritätisch besetzten, könnte Chancengleichheit in alle Niederungen der Arbeitswelt sickern. Dann werden auch Berufseinsteiger gleich gefördert. Und Anstrengungen, ungleiche Vergütungen abzuschaffen, werden realistisch, und vom Schreibtisch aus strahlen gleichberechtigte Geschlechterverhältnisse auch auf Partnerschaften und Familien zu Hause aus. Weil es dann völlig normal ist, dass junge Männer und junge Frauen sechs Monate in Elternzeit gehen, danach vielleicht zwei Jahre in Teilzeit - und dann wieder Anspruch auf eine Vollzeitstelle mit gleicher Verantwortung haben.

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