Steuergerechtigkeit:Hohe Steuern? Empört euch!

Lesezeit: 3 min

Nach Abzug aller Steuer und Abgaben bleibt vom Lohn eines durchschnittlichen Arbeitnehmers in Deutschland nicht mehr allzu viel übrig. (Foto: imago/imagebroker)

Für Durchschnittsverdiener bleibt immer weniger Netto vom Brutto - doch niemand regt sich auf. Warum Steuerreformen trotzdem dringend nötig sind.

Kommentar von Marc Beise

Die erste Enttäuschung im Leben ist meistens die schlimmste. Manchmal ist das die erste Gehaltsabrechnung. Da hat man einen Abschluss hinbekommen, den ersten Job ergattert, war stolz auf das im Arbeitsvertrag ausgewiesene Anfangsgehalt, dann kommt der Blick auf das Konto. Schwupp, da ist mal locker die Hälfte der Summe futsch und die Stimmung gleich mit.

So ist das in Deutschland, und es hat System. Der Staat in seiner ganzen gut gemeinten Fürsorglichkeit nimmt sich, was er für das seine hält. Der Staat sind wir alle? Eigentlich schon, und irgendwie doch nicht. Konkret sind es unsere Repräsentanten, Politiker und Bürokraten. Sie kassieren und verteilen Steuergelder für die Finanzierung staatlicher Ausgaben im Allgemeinen sowie Abgaben für die gesetzliche Sozialversicherung, also für Rente, Gesundheit, Pflege, Arbeitslosigkeit. Sie nehmen es sich an der Quelle, beim Arbeitgeber, noch ehe der das Gehalt an den Arbeitnehmer überweisen kann. Spätestens jetzt lernt der junge Mensch den Unterschied von brutto und netto.

Die Hälfte vom Brutto ist weg

Dieses allgemeine Lebensgefühl wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), einem in Paris ansässigen Zusammenschluss von vorwiegend wohlhabenden Industriestaaten, alljährlich in eine Statistik gegossen. In der Untersuchung "Taxing Wages", soeben wieder aktualisiert, belegt Deutschland traditionell einen Spitzenplatz. Die Abgabenlast, also Steuern und Sozialabgaben abzüglich staatlicher Zuschüsse, hat 2015 zugelegt, so dass für Arbeitnehmer erneut weniger Geld vom Bruttolohn übrig bleibt.

Internationales Steuerrecht
:Facebook zahlt mehr Boni als Steuern

Das größte soziale Netzwerk der Welt zahlte in Großbritannien 2014 gerade einmal 5829 Euro an den Staat. Wie ist es in Deutschland?

Von Bastian Brinkmann

Ein Angestellter mit Durchschnittsgehalt, unverheiratet und ohne Kind musste im Schnitt 49,4 Prozent seiner Arbeitskosten, also Bruttoverdienst plus Sozialbeiträge der Arbeitgeber, abliefern. Unter den 34 OECD-Ländern rangiert Deutschland damit nach wie vor auf dem dritthöchsten Platz; nur in Belgien und Österreich ist bei einem alleinstehenden Durchschnittsverdiener die Last höher. Im Jahr 2000 lag der Wert in Deutschland auch schon einmal bei 52,9 Prozent. Die Faustregel passt aber immer: Die Hälfte vom Brutto ist netto weg.

Nun ist das Geld ja nicht wirklich weg, es arbeitet ja anderswo zugunsten der Allgemeinheit, gelegentlich also auch zugunsten des einzelnen Individuums. Mit den Steuern wird der Staat organisiert, und das klappt in Deutschland unbestritten wesentlich besser als in vielen anderen Ländern. Die Sozialbeiträge wiederum fließen in sogenannte Umlagesysteme, aus denen der Arbeitnehmer später, oder wenn er in Not ist, alimentiert wird. Um das deutsche Sozialniveau beneidet uns fast die ganze Welt.

Es hat sich eine gewisse Lethargie breitgemacht

Auch muss man fairerweise sagen, dass sich das deutsche Ranking deutlich verbessert, wenn von traditionellen Ehen die Rede ist, je mehr Kinder da sind (für die es Kindergeld und andere Sozialleistungen gibt) und besonders, wenn einer der Ehepartner nicht arbeitet. Dann profitiert die Familie vom Ehegattensplitting, einer eigentlich sinnvollen Regel des Steuerrechts, bei der eine steuerliche Benachteiligung von Ehepartnern gegenüber Alleinverdienern verhindert werden soll.

Aber es gibt eine ganze Reihe von entscheidenden Haken: Erstens greift der Staat immer härter zu, die Zahl der heimlichen Steuererhöhungen ist Legion. Im Rentensystem kommen aufgrund der demografischen Entwicklung und der Besserstellung heutiger Rentner auf kommende Generationen gewaltige Belastungen zu. Zweitens wirkt der Staat im Verborgenen. Das System ist völlig intransparent. Warum wie viel abgezogen wird, ist kaum zu durchschauen. Drittens ist das System an vielen Stellen widersinnig, beispielsweise beim Ehegattensplitting, das (meist) Frauen den Anreiz gibt, gar nicht erst zu arbeiten. Oder bei dem Umstand, dass vor allem Arbeitseinkommen belastet werden, während die Erbengeneration und die Immobilienbesitzer vergleichsweise glimpflich davonkommen.

Es gäbe also Anlass genug, sich zu empören. Eigenartigerweise aber regen sich die Deutschen derzeit über vieles auf, aber nicht darüber, wie der Staat bei ihnen zulangt. Ganz offensichtlich hat sich eine gewisse Lethargie breitgemacht, den Steuer- und Abgabenstaat einfach gewähren zu lassen. Soll es dabei wirklich bleiben? Dabei müsste es einen Aufschrei geben, eine ultimative Forderung an die Politiker: Tut was! Das Steuer- und Abgabensystem ist ganz sicher nicht so zukunftssicher, wie die Regierenden das behaupten. Eine umfassende Reform wäre es eine großes, ein wichtiges, ein zwingendes Projekt. Sagen wir: für die nächste Legislaturperiode von 2017 an. Die Vorbereitungen müssen heute beginnen.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSamstagsessay
:Rettet die Steuermoral

Reiche verschieben ihr Geld nach Panama. Normalbürger tricksen bei der Putzfrau. Gegen Steuerbetrug kann man nichts machen? Falsch! Der Staat muss für Ehrlichkeit sorgen und bei den Reichen anfangen.

Von Marc Beise

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: