Kolumne: Pipers Welt:Buy American

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An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

In Sachen Welthandel und Protektionismus haben der neue US-Präsident Joe Biden und sein Vorgänger Donald Trump mehr gemein, als man denkt. Nur die Art und Weise unterscheidet sich deutlich.

Von Nikolaus Piper

Dem großen amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln wird ein eingängiger Spruch zum Thema Handel zugeschrieben: "Wenn wir im Ausland Industriegüter kaufen, dann haben wir die Waren, und der Ausländer hat das Geld. Kaufen wir die Industriegüter im Inland, dann haben wir sowohl die Waren als auch das Geld." Wahrscheinlich hat Lincoln diese Worte nie gesagt oder geschrieben, Belege dafür fehlen. Es ist aber gut möglich, dass er so gedacht hat, denn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war man in aufstrebenden Industrienationen wie den USA oder dem Deutschen Reich protektionistisch eingestellt. Ganz sicher jedoch umschreiben die Sätze, wer auch immer sie erfunden haben mag, treffend ein populäres Vorurteil. Danach ist es für ein Land am besten, wenn es möglichst alles selbst produziert. Zwar hat die Geschichte diese Behauptung immer wieder Lügen gestraft und belegt, dass internationale Arbeitsteilung Wohlstand für alle Beteiligten schafft. Trotzdem hält sich das Vorurteil bis heute, ganz besonders in Washington.

Jüngstes Beispiel ist ein Erlass, den der neue Präsident Joe Biden am Montag voriger Woche unterzeichnet hat. Er steht unter der blumigen Überschrift "Executive Order on Ensuring the Future Is Made in All of America by All of America's Workers", was man zur Parole "Buy American" verdichten kann. Der Erlass verpflichtet alle Bundesbehörden, bei ihren Beschaffungen Produkte zu bevorzugen, die in Amerika hergestellt wurden. Es geht um einen Markt von, vorsichtig geschätzt, 600 Milliarden Dollar; betroffen sind, neben Ministerien und dem Militär, auch eigenständige Behörden und staatseigene Unternehmen, wie die Post, die Raumfahrtbehörde Nasa oder die Verwaltung der Nationalparks. Will eine dieser Institutionen zum Beispiel einen Transporter für den Fuhrpark kaufen, dann muss sie ein Fahrzeug "Made in the U.S." nehmen, es sei denn, dieses ist mehr als 20 Prozent teurer als das Konkurrenzprodukt aus dem Ausland. Als "amerikanisch" gilt ein Produkt, wenn dessen Wertschöpfung zu mehr als 55 Prozent im Inland liegt. Bei Stahl und Aluminium muss der Anteil über 95 Prozent liegen.

Das alles kommt nicht aus heiterem Himmel. Bidens Vorgänger Donald Trump hatte nach seinem Amtsantritt eine "Buy American, Hire American"-Kampagne gestartet und bei der Gelegenheit gleich noch Kanada beschimpft. Als Herausforderer im Wahlkampf hatte Biden Trumps Kampagne scharf kritisiert - aber nicht wegen ihres Inhalts, sondern weil nichts dabei herausgekommen war. Letzteres stimmt, aber die Feststellung macht die Sache jetzt für Amerikas Handelspartner nicht unbedingt einfacher. Sie sind Trumps vulgären Protektionismus los und bekommen dafür Bidens sanfte Variante. Es wird keine Beleidigungen mehr aus dem Weißen Haus geben, dafür eine ziemlich zielstrebige Politik zugunsten "amerikanischer Jobs".

Die Parole von den "amerikanischen" Jobs spielte in der Geschichte der USA immer wieder eine zentrale Rolle. So gründet Joe Bidens Erlass auf dem "Buy American Act" vom 3. März 1933. Der glücklose Präsident Herbert Hoover hatte das Gesetz auf dem Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise unterzeichnet, als letzte Amtshandlung und als letzter untauglicher Versuch, die Krise mit protektionistischen Mitteln zu bekämpfen. Das Gesetz ist bis heute in Kraft, wurde aber durch etliche Ausnahmen ("Waiver") entschärft. Die Vereinigten Staaten traten - ebenso wie die EU - 1994 sogar im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO einem Abkommen über die Regulierung des staatlichen Beschaffungswesens bei. Danach müssen Ausschreibungen von Behörden grundsätzlich auch für Ausländer offen sein. Ausgeschlossen werden dürfen sie nur in Ausnahmefällen, etwa wenn es um die nationale Sicherheit geht.

Die Kosten für diesen Protektionismus trägt am Ende der amerikanische Steuerzahler

Bidens Politik läuft nun darauf hinaus, den "Buy American Act" strikter anzuwenden und möglichst viele Ausnahmen abzuschaffen. In gewisser Weise bedeutet sein Erlass eine Rückkehr zu den parteipolitischen Traditionen Washingtons. In jüngerer Zeit waren die Republikaner meist Freihändler - bis Trump die Partei kaperte. Die Demokraten dagegen waren Protektionisten, freilich mit einigen wichtigen Ausnahmen: Bill Clinton, der die WTO möglich machte und das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta unterzeichnete. Und Barack Obama, der mit den Europäern über das Freihandelsabkommen TTIP verhandelte, was besonders in der deutschen Öffentlichkeit nicht auf viel Gegenliebe stieß - eine vertane Chance.

Heute, nach vier Jahren Trump, ist die Parole "Buy American" in Washington praktisch unumstritten. Der Kongress ist so protektionistisch wie schon lange nicht mehr, auf der Rechten ebenso wie auf der Linken. Die Demokraten als traditionelle Partei der Gewerkschaften und der Industriearbeiter mussten zusehen, wie die Erosion der alten Industrien mit ihren vergleichsweise gut bezahlten Jobs den Republikanern die Wähler zutrieb. Der alte und sehr arme Industriestaat West Virginia etwa war einmal eine Hochburg der Demokraten. Noch 1996 hatte Bill Clinton dort 51 Prozent der Stimmen geholt. Bei den jüngsten Wahlen dagegen entschieden sich 68 Prozent der Wähler für Trump.

Politisch ist es also durchaus nachzuvollziehen, dass die Demokraten versuchen, Arbeitsplätze in der Industrie vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Das ändert jedoch nichts an den Kosten des Protektionismus. Wenn der amerikanische Staat 20 Prozent mehr als notwendig für ein Produkt zahlen muss, bloß weil es "amerikanisch" ist, müssen die amerikanischen Steuerzahler dafür aufkommen. Das Geld steht damit zum Beispiel nicht mehr für Sozialausgaben zur Verfügung. Von den negativen Folgen für Amerikas Handelspartner ganz zu schweigen.

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