Wettbewerb:Marktmacht ist nicht alles

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2022 hat Bayer noch von deutlich höheren Preisen im Herbizid-Geschäft profitiert. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Kritiker wie Lobbycontrol fordert eine Reform der Kartellrechts. So sollen Konzerne leichter entflechtet werden können.

Von Caspar Dohmen, Berlin

Die Ballung wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger global agierender Unternehmen schreitet voran. Das ist besonders offensichtlich in der Technologiebranche, aber auch in anderen Branchen wie Energie, Rohstoffe oder Finanzen. Diese Machtkonzentration schade der Demokratie, der Gesellschaft und der Wirtschaft, "weil sich eine gemeinwohlorientierte Politik und die notwendige soziale und ökologische Transformation der Wirtschaft so nur schwer umsetzen" lasse, warnen 24 zivilgesellschaftliche Organisationen von Oxfam über Lobbycontrol bis zur Finanzwende und fordern eine politische Korrektur. Ihr Papier liegt der SZ vor.

Demnach sollen Deutschland und die EU Gesetze auf den Weg bringen, damit nationale und europäische Wettbewerbshüter künftig "übermächtige" Konzerne "zerschlagen können". Die nächste Bundesregierung müsse eine "Entflechtung in schwerwiegenden Fällen möglich machen", sagt Oxfams Kartellrechtsexpertin Marita Wiggerthale. Ulrich Müller von Lobbycontrol sieht das Gemeinwohl besonders durch die Technologiekonzerne bedroht, die "größten Lobby-Akteure in Europa" beeinflussten schon heute "Kernbereiche der Demokratie wie öffentliche Debatten".

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Die zivilgesellschaftliche Initiative belebt eine alte Debatte über die Notwendigkeit eines solchen Entflechtungsinstruments, die in Deutschland bis ins Jahr 1949 zurückreicht: Der Nationalökonom und Ministerialbeamte Paul Josten wurde namengebend für den sogenannten Josten-Entwurf eines westdeutschen Wettbewerbsgesetzes. Danach sollten große Unternehmen zerschlagen werden können, unabhängig davon, ob sie ihre Marktmacht missbrauchen oder nicht. Aber der Widerstand aus Politik und Industrie war groß und die damalige Regierung beschränkte die Eingriffsmöglichkeiten der Wettbewerbshüter - im ansonsten wegweisenden Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1958 - auf die Kartell- und Missbrauchsaufsicht.

Die Debatte flammte mehrmals wieder auf, vor allem auf Betreiben der FDP, die 1977 in ihren Kieler Thesen die "Prüfung der Möglichkeiten zur Entflechtung von Großunternehmen forderte" und 2010 zur Zeit der schwarz-gelben Koalition sogar einen Gesetzentwurf vorlegte, wofür sie damals die Unterstützung vom Bundeskartellamt und der Monopolkommission erhielt. Anlass war die Konzentration in der Energiewirtschaft. Aber das Gesetz wurde nicht beschlossen und die Konzentration ging weiter, auch durch große Übernahmen, die von den Kartellbehörden durchgewunken wurden wie Bayer-Monsanto oder Dow-Dupont.

In den USA lässt Amazon die Wettbewerbshüter aufhorchen

Prinzipiell anders ist die Situation in den USA und Großbritannien, wo Konzerne aus Wettbewerbsgründen entflochten werden können. So geschah dies in der Vergangenheit einige Male, etwa als der US-Telekommunikationskonzern und Monopolist AT & T in den 1970er-Jahren auf Druck der US-Wettbewerbsbehörde seine lokalen Netzbetreiber abspaltete, in sieben unabhängige Gesellschaften. Seitdem geschah aber nichts mehr dergleichen. Erst nach einer langen Pause wird neuerdings wieder über die Notwendigkeit einer Entflechtung debattiert. Anlass ist die riesige Marktmacht von Technologiekonzernen, die weiter steigt, was etwa die angekündigte Übernahme des Hollywood-Studios MGM durch Amazon zeigt.

Wie teuer übermächtige Konzerne für die Gesellschaft werden können, habe man in der Finanzkrise von 2008 gesehen, sagt Gerhard Schick von der NGO Finanzwende: Große Banken seien mit Milliardensummen gerettet worden, da man bei ihrer Pleite schwere Folgen für die Wirtschaft fürchtete. Ihre Größe schützte Finanzinstitute nun vor der Pleite. Während die Banken zuvor ihre Gewinne privatisiert hatten, wurden die Kosten nun sozialisiert. Von den Gewinnen großer Konzerne profitieren generell vor allem Eigentümer, Investoren und Manager. Zwar leiten Wettbewerbshüter regelmäßig Verfahren gegen Konzerne ein und die EU will mit neuen Regeln den Machtmissbrauch durch Plattformen begrenzen, aber auf diese Weise wird die bestehende Konzentration nicht infrage gestellt. Dafür bräuchte es die Möglichkeit einer Entflechtung.

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