Kapitalismus-Kritiker:Moderne Revolutionäre

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Daniel Kerber: "Wir wollen nicht einfach eine Organisation sein, die von Geberinteressen gesteuert ist." (Foto: oh)
  • Der Sozialunternehmer Daniel Kerber baut neuartige Flüchtlingszelte - und gegenfinanziert sie über kommerzielle Nutzung.
  • Der Aktivist Enric Duran versteht Kreditbetrug als politischen Akt und ist wegen "finanziellen zivilen Ungehorsams" gegen das globale Finanzsystem auf der Flucht.

Von Lea Hampel

Die Folgen des Kapitalismus bekämpfen

Während die Besuchergruppe zügig über den schlammigen Boden des Flüchtlingslagers stapft, macht Daniel Kerber kurz halt. Er schaut sich neugierig zwei zusammengestellte Container und die durcheinanderhängenden Stromleitungen an. Dann schließt er in seinen Wanderschuhen mit großen Schritten auf zur Gruppe. Es ist Januar 2014 im jordanischen Flüchtlingslager Za'atari, etwa 100 000 Syrer sind damals bereits auf dem Gelände, mit ihnen Hunderte Mitarbeiter diverser Hilfsorganisationen. Und Daniel Kerber. Warum er, Künstler aus Berlin, hier nahe der Grenze zu Syrien als Sozialunternehmer in der Wüste unterwegs ist, hat viel damit zu tun, dass er halt gern macht und hinschaut. Er ist zu Besuch mit einer Idee, die die Folgen des Kapitalismus mit seinen Mitteln bekämpfen will. Und diese Idee kommt von einer Beobachtung.

Daniel Kerber, 44 Jahre, groß, kurze graue Haare, eine tiefe, weiche Stimme, ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel unterwegs gewesen, er macht Installationen und Ausstellungen. Eines stellt er auf seinen Reisen immer wieder fest: Japaner bauen selbst dann Hütten mit Schiebetüren, wenn sie arm sind, Slumbewohner in Südamerika errichten sogar Wellblechhütten im Kreis, und sogar in Zeltwände des UN-Flüchtlingshilfswerks schneiden die Lagerbewohner Belüftungsschlitze. Kerber macht das neugierig, schließlich arbeitet er seit Jahren an der Grenze zwischen Kunst und Architektur. "Irgendwann habe ich verstanden: Jeder Mensch will in jeder Situation seinen Raum gestalten."

Als er 2001 wieder einmal in einem Slum unterwegs ist, hat er eine Idee: Was, wenn die Bewohner nicht die Zelte zerschneiden müssten? Was, wenn die Behausungen an Familiengröße, Temperatur und kulturelle Unterschiede anpassbar sind? Der Designer recherchiert zur Flüchtlingshilfe. Er findet heraus, dass Organisationen und Material seit Jahrzehnten den gleichen Mustern folgen, und entwickelt über mehrere Jahre das Domo, ein Modell für ein variables Flüchtlingszelt.

Wenig Begeisterung in der Flüchtlingsindustrie

Eine zeitgemäße Idee. Fast 60 Millionen Menschen sind dieses Jahr auf der Flucht, Folgen des Klimawandels und Konflikte lassen die Zahlen steigen. Auch deshalb bekommt Kerber mit seiner Firma "More Than Shelters" Preise, Zustimmung, aber zunächst wenig Geld. Die Flüchtlingsindustrie ist ein seit Jahren aufgeteilter Markt, neue Anbieter ungern gesehen, stattdessen herrscht Geld- und Personalmangel. Dass einer mit Kapuzenpulli und einem Atelier in Berlin mit neuen Ideen kommt, stößt kaum auf Begeisterung.

Bis Kerbers nächster Einfall folgt: Wenn nicht gegen eine Industrie, dann mit einer anderen. Schnell aufbaubare Zelte brauchen auch Festivalbetreiber, Unternehmen auf Messen und andere Gewerbetreibende. Er fängt an, mit einem Outdoorhersteller Zelte zu produzieren, 2014 stehen erste beim Roskilde-Musikfestival in Dänemark. Das Geld für seine Arbeit kommt immer öfter von kommerziellen Partnern. "Es wäre schön, mit dem Transfer von ökonomischen Strömen ein Modell zu etablieren", sagt Kerber. Er findet: Wer durch sein westliches Konsumverhalten Klimaflüchtlingszahlen steigert, sollte sich an anderer Stelle engagieren.

Diese Querfinanzierung ist nicht immer einfach. Zum einen sind Partner nicht leicht zu finden, zum anderen ist nicht jedes Unternehmen geeignet. Einen Spagat nennt Kerber das. Doch der scheint zu funktionieren. Seit im Frühling in Nepal das Erdbeben wütete, ist er regelmäßig vor Ort. Aus ersten Zelten werden bald Schulen gebaut. Den Spagat zwischen Wohltat und Kommerz wagt nicht nur er: Seit 2014 testet auch die Ikea-Stiftung neue Flüchtlingsunterkünfte.

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Sein Gedankengut hat er von Mahatma Gandhi und Henry David Thoreau, doch seine vielen Spitznamen erinnern an einen Briten: "Robin Bank" ist einer davon, "spanischer Robin Hood" ein anderer. Vermutlich kommen bald weitere hinzu, denn der Mann, der eigentlich Enric Duran Giralt heißt, 1976 in einem kleinen Ort fünfzig Kilometer vor Barcelona geboren wurde und sich lange als Tischtennistrainer verdingt hat, heckt wieder etwas aus.

Man muss mit allem rechnen, denn Duran, 39, ist seit 15 Jahren Revolutionär: "Bei der Revolution geht es im Wesentlichen nicht darum, das Wirtschaftswesen zu ändern, sondern alles, den Menschen, zu ändern", erklärte er mal in einem Interview. Solche Sätze wecken Erinnerungen an Che Guevara. Die Art, mit der Duran für nicht weniger als den Wandel der Menschheit eintritt, ist jedoch weitaus moderner als der Kampf des lateinamerikanischen Revolutionärs, und zwar in der Wahl der Gegner wie der Mittel. Er attackiert das globale Finanzsystem, mit Vorträgen, Demonstrationen und Texten.

Berühmt gemacht hat ihn eine im Jahr 2008 öffentlich gewordene Aktion: Drei Jahre lang hatte er sich so ins spanische Bankenwesen eingearbeitet, dass er dessen Lücken kannte und 68 Kredite bei 39 Banken aufnehmen konnte, in dem Wissen, sie weder zurückzahlen zu können noch zu wollen. Die 492 000 Euro investierte er unter anderem in eine antikapitalistische Zeitung. "Finanzieller ziviler Ungehorsam" ist die Bezeichnung, die er dafür geprägt hat. "Straftat" war die der spanischen Justiz.

Occupy Banking

Als er seine Taten, passenderweise wenige Tage nach dem Lehman-Crash, öffentlich machte, war Duran schon in São Paulo. Von dort aus kommunizierte er weiter mit seinen Anhängern. Mit ihnen entwickelte er eine neue, diesmal legale Idee: die Cooperativa Integral Catalana, ein Netzwerk verschiedener Kooperativen in Katalonien, das medizinische und soziale Versorgung, den Austausch von Lebensmitteln und Dienstleistungen unter seinen Mitgliedern fördert und eine eigene Währung hat. Weil die Kooperative gemeinnützig ist und Mitglieder ihre Einkünfte über den Verein bekommen, zahlen sie kaum Steuern. Vermutlich auch deshalb ist der Erfolg groß: Mehrere Tausend Mitglieder - vor allem junge Alternative im von Zwangsräumungen geprägten Barcelona - hat die Kooperative mittlerweile; sie passt zum Zeitgeist im Land, nicht umsonst war die linke Podemos-Partei bei den Wahlen im März erfolgreich.

Diese reale Revolution kann Enric Duran nur aus der Ferne verfolgen. 2011 saß er für seinen Kreditbetrug zwei Monate in Haft. Dann durfte er das Gefängnis verlassen, weil ein anonymer Spender die Kaution zahlte. Zum Prozessbeginn erschien Duran dann nicht, wohl auch, weil ihm eine Haftstrafe von acht Jahren drohte. Duran ist auf der Flucht. Derzeit läuft die Kampagne "Return with freedom" (Rückkehr mit Freiheit) zur Aufhebung seiner Strafe. Bis es so weit ist, arbeitet er im Exil weiter. Bereits vor einem Jahr hat er "Occupy Banking" gestartet. Zentrales Element ist "FairCoop", eine Plattform, die nicht weniger als die Basis für ein weltweit funktionierendes, alternatives Währungs- und Wirtschaftssystem sein soll, transparent und frei von politischer Kontrolle.

Für Duran ein wesentlicher Schritt, denn eines hat er gelernt: "Du kannst zwar die sozialen Rechte und die Demokratie verbessern, aber das bringt nichts, wenn du Wirtschaft und Banken nicht ändern kannst", sagt er. Dass er das nur über Skype äußern kann, weil ihm in Spanien Haft droht, klingt einerseits nach dem Gegenteil von Freiheit und Zukunft. Andererseits passt es sehr schön ins Bild von einem echten Revolutionär.

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